Atem Gottes

„Da formte Gott, der Herr, den Menschen aus Erde vom Ackerboden und blies in seine Nase den Atem des Lebens“ (Gen. 2, 7)

Wer in einer Klinik arbeitet, zumal auf einer Intensivstation, weiß, dass Leben und Tod eng mit der Luft verbunden sind. Der Atem, der kommt und geht, hält den Menschen am Leben. Auf mancher Intensivstation - dort wo Menschen schon zu schwach sind, selbst zu atmen, übernimmt diese lebensnotwendige Aufgabe eine Maschine. Der Körper braucht die ununterbrochene Zufuhr von Sauerstoff, besonders unser Gehirn. Die Frische und Spannkraft eines Menschen hängt zentral mit seiner Atmung zusammen.

Wer frei atmen kann, hat Elan, Kraft und Selbstvertrauen. Der Atem ist das Lebenselixier unseres Daseins und es gibt kaum eine schlimmere Bedrohungssituation als jene, dass einem die Luft abgeschnürt wird. Das Gefühl zu ersticken ist brutal. Auch Angst, Engegefühl, Verkrampfung hängen mit gehemmtem und blockiertem Atem zusammen. Vor Schrecken kann mir der Atem stillstehen oder ich kann aus dem Rhythmus des Atems herausfallen; das Gleichgewicht von Einatmen und Ausatmen, von Öffnen und Schließen, von Nehmen und Hergeben ist dann gestört.

Der Atem und das Atmen verbinden mich mit allem Lebendigen wie das Rose Ausländer Gedicht „Im Atemhaus“ kündigt: „Unsichtbare Brücken spannen/ von Dir zu Menschen und Dingen/ von der Luft zu deinem Atem//....Im Atemhaus wohnen/eine Menschblumenzeit“ (vgl. R. Ausländer, Im Atemhaus wohnen, Gedichte). Durch den großen Lebensatem werde ich „in Atem“gehalten. Der Atem erinnert mich daran, dass ich mehr bin als träge und schwerfällige Materie.

Der Atem, griech. pneuma, lat. spiritus, spielt nicht nur in physischer, sondern auch in spiritueller Hinsicht eine zentrale Rolle. Der griechische Begriff pneuma wird im Neuen Testament fast immer mit Heiliger Geist übersetzt, wobei diesem Begriff wie Bernardin Schellenberger sehr richtig bemerkt, kaum mehr anzumerken ist, dass es um „gesunde, frische Luft“ geht; letztlich um die Suche nach einer spirituellen Atemkunst, die wir Menschen anscheinend ziemlich verlernt haben, was die Verschmutzung und Erwärmung der Luft unseres Planeten auch äußerlich anzeigt.(vgl. Bernhardin Schellenberger, Auf den Wegen der Sehnsucht, Zum spirituellen Leben heute, Freiburg im Breisgau 2004)

Den Atem können wir uns nicht selbst geben, wir werden inspiriert, wir sind der Beatmung von einem Anderen her bedürftig wie es die Schöpfungsgeschichte schön ausdrückt: Gott bläst den Lebensodem in die Nase Adams (Gen.2,7). Als Jesus am Kreuz stirbt, atmet er aus (Lk 23,46) und Matthäus schreibt: er gibt den Atem her. Nach drei Tagen wird Jesus vom Vater neu beatmet (es ist also nicht sein eigener Atem), so dass er zu neuem Leben auferstehen kann. Ostern als Ereignis des zu neuem Leben „Beatmet-werdens“. Jesus haucht seinen Jüngern den Heiligen Geist ein. Sie sollen in ihrem Atem den Atem Gottes, der „Beistand“ und Lebensspender ist, spüren und in sich tragen, woran das Pfingstfest erinnert. (vgl. Bernardin Schellenberger, a.a.O.)

Sich immer wieder neu vom Atem Gottes, von der frischen und belebenden Luft, die von „Ihm“ aus und durch uns hindurchgehen will, erneuern zu lassen, gehört zur christlichen Existenz. Im Rhythmus des Atems ununterbrochen mit Gott verbunden sein, dazu möchte auch das Jesusgebet (Herr Jesus Christus, erbarme Dich unser“) der Ostkirche anleiten. Ein Gedicht von Kurt Marti, drückt diese Verbundenheit auf eigenwillig schöne Weise aus. Es trägt den Titel „Ungebet“: „Da du alles/schon weißt,/mag ich nicht/beten./ Tief atme ich ein,/lange atme ich aus./ Und siehe:/ Du lächelst.//“

Impuls (nach Anselm Grün)

  • Stell Dich in den Wind, schließe deine Augen und versuche mit allen Sinnen den Wind wahrzunehmen, wie er dich berührt, dir zärtlich über die Wangen streicht oder dich kräftig durchweht, reinigt und in Bewegung bringt. Im Wind lässt sich das Leben der Natur spüren, aber zugleich erfahre ich in ihm auch das Wehen des Heiligen Geistes

Literatur

  • Bernardin Schellenberger, Auf den Wegen der Sehnsucht, Zum spirituellen Leben heute, Freiburg im Breisgau 2004

(Text von Gustav Schädlich-Buter)