Christliche Rituale, Symbole und Kult

(R. Rohr, Hoffnung und Achtsamkeit; Vom wilden Mann zum weisen Mann, München 2006 und Adam`s Return, deutsch: Endlich Mann Werden, die Wiederentdeckung der Initiation München 2005; alle bei Claudius erschienen)

Alle Texte sind Zusammenfassungen und Auszüge als Zusammenstellung für das Thema „Rituale, Symbole und Kult“ aus Schriften von P. Richard Rohr; sie sind nur für den privaten Gebrauch gedacht.

Johannes der Täufer - ein „wilder Mann“

Johannes, der Popularität beim Volk hatte, deutete über sich hinaus auf den, der nicht nur den Ritus mit Worten und Wasser vollzog, sondern mit Feuer und heiligem Geist taufen würde (Mt. 3,11) Es geht um das Wahre und nicht das Ritual. Das Auftreten des Johannes war eine radikale Kritik am bestehenden priesterlichen System. Er gebrauchte aber seine Macht und Popularität beim Volk nicht für sich selbst.

Dass sich Jesus dem gegenkulturellen Initiationsritus des Johannes (Joh. 3,22) unterzog, ist auch eine Aussage darüber, dass der alte Ritus aus irgendeinem Grund nicht mehr funktionierte. Johannes zog aus dem Tempelsystem seines Vaters aus und verkündete, dass Gottes Vergebung ebenso verfügbar ist - gratis, frei - wie das Wasser des Flusses. (Lk.3, 4)

Irgendeine Art von Taufe (Initiation) ist nötig, um den Weg zur spirituellen Reife anzutreten. Feuer, Wasser, Blut, Scheitern, heiliges Verlangen können auslösende Momente sein, doch ein Mensch kann nur im richtigen Meer schwimmen, wenn er in das zentrale Mysterium stürzt und darin untertaucht. Das ist der notwendige Weg vom falschen zum wahren Selbst. Ohne eine solche Niederlage interpretieren wir praktisch alle religiösen Worte und Rituale von der Warte unseres kleinen Ego aus - und damit falsch ... Religion glückt überhaupt nur dann, wenn eine Begegnung ..., eine „unheimliche Begegnung der ersten Art“ stattgefunden hat. Nur dadurch gewinnen wir eine neue Freiheit, die von vielen „Gott“ genannt wird.

Ein nicht initiiertes Ego beharrt auf Worten und Ritualen, weil ihm die wahre innere Erfahrung fehlt.

Die Eucharistiefeier

Die paulinische Erzählung von der Stiftung der Eucharistie – der älteste aller derartigen Texte –enthält Anklänge an das Ritual, vom Blut des Initiierten zu trinken und so in die Gemeinschaft mit seinem leiblichen Weg zu treten. Dieses Ritual findet sich bis heute in Initiationsriten in Afrika. „Sooft ihr von diesem Brot esst und aus diesem Kelch trinkt, verkündet ihr seinen Tod.“ (1.Kor.11,26) Er entwickelt die Idee eines Gedächtnismahles für das Geheimnis des Todes. Kämpft nicht dagegen an, verleugnet es nicht, intellektualisiert es nicht, sondern „kaut darauf herum“! Berauscht euch an dem Blut/Wein des Helden, bis euer Tod eins mit seinem Tod wird und somit Sinn gewinnt. Das wurde zur gängigen Abendmahlstheorie und so wollte Jesus es auch verstanden wissen.

Aber was haben wir daraus gemacht? Wir haben es so verniedlicht, so gestylt und mehrheitsfähig gemacht, dass der normale Kirchgänger die groben, körperlichen sexuellen und gar kannibalischen Untertöne der Gesänge und der ganzen Feier gar nicht mehr wahrnimmt. Das Ganze war aber ein revolutionäres Ritual, besonders für jüdische Männer, die unter gar keinen Umständen Blut trinken durften.

Angesichts der Gemeinsamkeiten mit den hellenistischen Ritualen betont Paulus aber auch die Unterschiede zwischen seinem Glauben und seinen Ritualen: Wir haben am „Blut Christi“ teil (1 Kor.12) und stehen mit ihm in Gemeinschaft und nicht mit heidnischen Götzen.

Der große Unterschied besteht für Paulus darin, dass seine eigenen Rituale wie ein Wechsel zur Auferstehung sind und nicht bloß rückwärtsgewandte Gedächtnisfeiern, welche die Kirche zum Bestattungsunternehmen verkommen ließen, dem es mehr darum geht die Toten zu retten statt die Lebenden zu befreien.

Die, die Paulus initiiert (einweiht), werden in die Gemeinschaft initiiert mit Jesus, der von den Toten auferstanden ist: Der Tod als etwas über das man triumphiert; einer, der als Lügner bloßgestellt wird: Tod, wo ist dein Stachel? (1 Kor.15, 56) Paulus brüstet sich damit, mehr als einmal gestorben zu sein (2 Kor.11), nun lebt er ein eigenes Leben - nicht sein eigenes. Die Erfahrung, dass der Tod keine letzte Macht mehr hat, macht das Wesen jeder wahren Initiation aus. Solche Menschen leben in einem Bereich jenseits unserer üblichen Ängste, in einer anderen Wirklichkeit ...

Das Kreuz

Wurde vielfach zum bloßen Totem und Schmuckstück. Wir haben aus dem Jesus Symbol eine mechanische Versöhnungstheorie gemacht, die mit uns überhaupt nichts zu tun hat. Mit dem Kreuz als Totem wurde Jesus zum kosmischen Problemlöser, Gott hingegen zum kleinlichen Autokraten, der unfähig ist, mit seinen eigenen Geschöpfen in Liebe umzugehen. Die christliche Praxis wurde zu einer höflich-furchtsamen, unentschiedenen Haltung anstelle einer kosmischen Liebesgeschichte. Wir verfehlen den positiven, erlösenden Sinn unseres eigenen Leidens, wenn wir das Kreuz nur als etwas betrachten, was Jesus für uns stellvertretend getan hat. Wir sehen im Kreuz kein Modell und keine Einladung uns auf denselben Prozess einzulassen. Nachdem das Kreuz seine transformierende Bildkraft verloren hat, ist unsere christliche Kultur krank geworden, geprägt von Larmoyanz und Schuldzuweisungen und weit mehr in Konsumwut und Sucht verstrickt als die so genannten heidnischen Kulturen.

Auferstehung

die Auferstehung ereignet sich von selbst, wenn wir uns aufs Sterben einlassen. Wir dürfen uns nicht vornehmen, unsere Auferstehung selbst fabrizieren zu wollen. Wir müssen uns vom Kreuz, von der Notwendigkeit der Nachtfahrt überzeugen lassen, dann kommt die Auferstehung als Geschenk.

Darauf weisen auch viele Mythen: Parzivals Suche nach dem heiligen Gral beginnt damit, dass er den Wald an seiner dunkelsten Stelle betritt. Dante tritt seine Reise nach dem Paradies allein in einem finsteren Wald an und wird zuerst durch Fegefeuer und Hölle geführt. Finsternis und Licht dürfen nicht voneinander geschieden werden.

Wenn Schmerz und Leiden nicht transformiert werden, werden sie in der Regel auf andere projiziert. Das deformiert persönliche Beziehungen, gesellschaftliche Klimas und ganze Regionen. Die USA braucht anscheinend alle 10 Jahre einen Krieg, weil Schmerz nicht transformiert wird. Nicht transformierter Schmerz wird normalerweise weggeschoben, damit er sich an einem anderen Ort der bei anderen Menschen niederlässt (vgl. Lk 8,26..Der Besessene von Gerasa)

Beichte/Buße

Im spirituellen Leben gibt es kein „Anderswo“ (Sündenbockmechanismus). Wir selbst sind das Hauptproblem. Meine Ängste, Unsicherheiten.. sagen zuerst etwas über mich selbst aus. Das muss ich wahrnehmen, bevor ich irgendein Urteil abgebe. Doch meist weichen wir den Problemen des Ich, des Hier und Jetzt aus. Dem nicht auszuweichen - genau darum geht es, wenn wir unsere Sünden beichten oder unseren Schatten annehmen. Das ist harte und äußerst demütigende Arbeit.

Was wir Sünden nennen, sind in Wirklichkeit oft die Symptome der Sünde. Mit anderen Worten: es handelt sich dabei um die vorhersehbaren Ereignisse unseres Versuchs, außerhalb des Kreislaufes von Tod und Auferstehung zu leben. Wir ziehen es vor, uns für die Symptome ordentlich schuldig zu fühlen, statt uns der harten Arbeit zu stellen, die zugrunde liegende Illusion zu ändern. Schuldgefühle halten uns in einem mechanistischen System von Lohn und Strafe gefangen, statt uns zu der Frage zu bewegen: Was kann ich daraus lernen?

Eine Religion von Ge- und Verboten belässt die Menschen nach meiner Erfahrung in einem beständigen Hin und Her von Deflation und Inflation, mit einer starken Unterströmung von Verdrängung und Täuschung.

Seher aller Zeiten haben die Notwendigkeit erkannt, irgendeine Art Schwellenraum zu schaffen, um klar zu sehen und dann voller Freiheit und erneuert wieder in die Welt einzutreten. Franziskus nannte sein permanentes Leben an der Schwelle das „Leben der Buße“. Darin zeigt sich die tatsächliche und wahre Bedeutung des Wortes Buße - heute allerdings nahezu unbrauchbar geworden, weil es zu lange individualistisch und moralistisch missverstanden wurde. Im Schwellenraum leben wir absichtlich am Rand, ringen mit der dunklen Seite, stellen die Norm radikal in Frage, halten inmitten selbstgewählter Schwierigkeiten das Herz offen. Im Schwellenraum ziehen wir das Chaos des Unbewussten dem Kontrollsystem mit seinen Erklärungen und Antworten vor. Jesus fastete vierzig Tage und vierzig Nächte. Danach hungerte ihn (Mt 3,2) Es bedeutet eine Menge Arbeit, den wahren und echten Hunger zu entdecken.

Eine der effektivsten Weisen, die Erfahrung des Schwellenraums zu vermeiden, ist wohl, schnell, effizient, erfolgreich und zielorientiert zu leben. Oder auf der Rechten superreligiös zu sein bzw. superkorrekt auf der Linken. Keiner lebt gern in der Unsicherheit des Abwartens, ohne klare Richtung, ohne Sinn und Ziel. Das Wort, das diesem Zustand am ehesten entspricht ist Leiden.

Religion

Eine Religion, die die Menschen nicht mit dem bekannt macht, was sie „verborgen in Gott“ bereits sind (vgl. Kol.3, 3) ist Teil des Problems und nicht Teil der Lösung. Eine solche Religion lässt die Menschen in der Falle der Illusionen und der Schuldgefühle zappeln und bezeichnet das Ganze auch törichterweise als „gute Nachricht“. Dabei ist eine solche Nachricht alles andere als gut. Sie hält in Abhängigkeit vom religiösen Inventar, statt zu ermutigen, freudig aus der überströmenden Quelle Gottes zu schöpfen. Man könnte sogar sagen, dass es in der ganzen Bibel darum geht, Adam wieder zu seinem Ausgangspunkt – den Garten Eden - zurückzubringen, den er törichterweise verlassen hat.

Eine gesunde Religion erschließt dem Menschen ein grundlegendes Gefühl der Ehrfurcht und des Staunens. Sie verleiht einem ansonsten leeren Universum wieder den Zauber eines großen bergenden Geheimnisses. Sie erfüllt die Menschen mit Achtsamkeit gegenüber allen Dingen und Lebewesen.

Gottesdienste

Wie viele Jahre, wie viele kirchliche Feste brauchen wir, um unseren Widerstand gegen das Sterben zu überwinden.

Der Weg der Transformation vom Tod zur Auferstehung ist die einzige - große und stets verleugnete – Botschaft. Genauso und nicht anders werden wir gerette t- auch wenn es vielen peinlich ist, solche Worte zu verwenden. Irgendwie sind wir doch ganz zufrieden mit unserem Unglück, unterbrochen durch gediegene Gottesdienste, wie es sich für ordentliche Christen gehört. Aber Jesus hat kein einziges Mal gefordert, wir sollten ihn anbeten und ihm Gottesdienste abhalten. Wir sollen ihm auf seiner „unumgänglichen, drei Tage dauernden Reise“ nachfolgen.

Manchmal beinhalteten die Rituale selbst eine heftige Desillusionierung ( z.B. nach der Messe werden die Gewänder abgelegt, die Kerzen gelöscht, es gibt Dekonsekration, Laisierung, Annullierung, Dispens, der große Zauberer von Oz wird als sterblicher Mensch entlarvt ... - all das besagt, dass das Heilige selbst wieder zum Unheiligen werden kann), sodass der Initiand nicht Gefahr lief, das Ritual mit der notwendigen Erfahrung des Sterbens zu verwechseln. Wenn man sieht, was die Katholiken aus der Messe und die Protestanten aus der Bibel gemacht haben, versteht man, wie leicht es ist, das Medium mit der Botschaft zu verwechseln. Die Katholiken gehen regelmäßig zur Messe, weil wir langsam lernen und uns nur langsam transformieren. Jesus ging nur einmal.

Die Protestanten streiten über Bibel, Lehrsätze und moralische Fragen statt Jesu an neue Orte nachzufolgen, die womöglich nicht ungefährlich sind.

Die modernen Quasi-Kirchen ergötzen sich an religiösem Entertainment. Wir alle ziehen unsere Rituale allem Realen und Risikohaften vor. Wenn Religion nicht ihre eigenen Formen entzaubert, wird sie unweigerlich zum Götzendienst. Eine neue Begegnung mit dem Heiligen ist schwerer zu pflegen als eine Beziehung zu Objekten,. Worten und Totems. Wir ziehen das Vertraute vor, und Gott ist niemals völlig vertraut. Er ist „wild“, die meisten fürchten sich vor der Präsenz

Die Intergration des Bösen

Die meisten Menschen glauben, bei Religion dürfe es nur um die positiven Dinge gehen: Heilen, Helfen und Hoffen. Ich gehe von der gegenteiligen Annahme aus: der Weg, den Schmerz des Lebens zu verwandeln, besteht darin, die „verwundete“ (verschattete, dunkle, negative..) Seite aller Dinge aufzudecken und die Wunde (und das Dunkle) in einen heiligen Bezirk zu bringen ... Das Negative bewusst einbeziehen - darin liegt die eigentliche Bedeutung des Kreuzestodes Jesu.

Die Bibel bringt uns bei, dass Güte im Menschen eher daraus entspringt aus Fehlern zu lernen, Wunden und eigene Schatten anzuschauen als daraus alle Fehler zu vermeiden. Das falsche Streben nach dem Vollkommenen, das ja ohnehin nur in Gott zu finden ist, dient oft als wunderbare Verkleidung für unseren Egoismus. Wie Adam streben wir danach wie „Gott zu sein“. (1. Mos 3, 6)

Unser Leben spielt sich in der Transformation ab, mühevoll, mitten in einem Gemenge aus Gut und Böse, in einer Menge aus Gegensätzen, die sich nach Versöhnung sehnen. Ein Mensch, der zu seiner Begrenztheit steht und seine Sünden beweint, kann viel mehr bewirken als einer, der seine Begrenztheit und Sünden überhaupt nicht erkennt.

Das Böse verschwindet nicht, wenn wir es verdrängen oder hassen. Man kann ein Problem nicht einfach dadurch lösen, dass man es verdammt, weder auf persönlicher noch auf institutioneller Ebene. Erlösung geschieht durch Vergebung der Sünden, nicht durch Vermeidung der Sünden.

In New Mexico haben die Menschen Kachinas und Clowns erfunden, um die dunkle und helle Seite der Dinge darzustellen: die gute Mutter- die böse Mutter und Menschenfresserin, der gute Vater- der böse Vater. Die böse Mutter und der böse Vater werden im Ritus vorgestellt, sodass wir nicht über Gebühr geschockt sind, wenn wir ihnen im wirklichen Leben begegnen.

Gute Liturgie und gute Religion wissen, dass man die ganze Geschichte inszenieren muss; erst dann ist das ganze Feld zu erkennen, auf dem der Weizen zusammen mit dem Unkraut wächst. (Mt 13, 29)

Wo die Präsenz des Negativen aufgedeckt wird, wird uns die falsche Unschuld abgesprochen und ein echter Sieg ermöglicht. In den Ländern des Ostens stehen Drachen, Fratzen und Monster, die beinahe jede Tür in Afrika, Asien und Ozeanien bewachen. Wir bevorzugen eher eine winkende Micky-Maus oder einen sentimentalen blonden Engel.

Paulus zeichnet ein modernes Bild von der verkorksten Natur der menschlichen Persönlichkeit. Das Gesetz wird für die Menschen zur Versuchung, ein Gutteil der Anziehungskraft des Verbotenen besteht genau darin, dass es ein Gesetz dagegen gibt (Röm 7, 7-8). Das Gesetz ist bestenfalls in der Lage der Sünde einen Namen zu geben. Es schafft Information nicht Transformation.

Die dunkle Macht, das dunkle Geheimnis muss ans Licht gebracht werden, um seine Attraktivität und Macht zu verlieren, früher z-B. in der Beichte. Am Beginn der Messe steht ein öffentliches Sündenbekenntnis, ähnlich wie beim AA-Meeting: „Hallo, ich heiße N.N. und bin ein Sünder. Herr erbarme Dich. “ Jetzt hat die Versammlung einen korrekten Namen: eine Versammlung bedürftiger Sünder.

Der Humor ist eine wichtige Form der rituellen Entzauberung: Bei den Pueblo Indianern gibt es Clowns, die das Böse veralbern und auslachen. Der Teufel muss ausgelacht und seines numinosen Charakters beraubt werden, wenn wir nicht am Ende das Böse, den Tod oder das Obszöne verehren wollen wie im Satanismus und in manchen Formen der Heavy Metal Musik.

Die Fähigkeit, das Böse auszulachen und Symbole zu relativieren - ohne sie ganz zu verabschieden - ist Merkmal eines gesunden Menschen. Alte Nonnen, die mit mir im Gefängnis gearbeitet haben, konnten mit den Prostituierten lachen und mit den Freiern Witze reißen. Ein alter Priester hier in New Mexico füllt immer wieder den heiligen Staub im Heilungsschrein nach und nimmt dazu einfach den Staub von einem Erdhaufen hinter der Kirche ohne sich dafür rechtfertigen zu müssen. Er weiß, dass nicht der Staub die Heilung vollbringt.

Zadok, Annas, Kaiphas und die Pharisäer repräsentieren eine priesterliche Verpflichtung auf das Ritualsystem als Selbstzweck. Im Kontrast dazu haben die Propheten - Jesaja, Jeremia, Amos, Hosea, ... und Jesus die Formen immer relativiert und auf den wahren und eigentlichen Kern der Sache hingewiesen.

Alle Formen und Rituale sind nichts als der Finger, der auf den Mond zeigt. Gelegentlich müssen die Formen aus dem Weg geräumt werden, damit man den Mond selbst sehen kann. (vgl. Jes 1,11-18; Jer 7, 4-15)

Viele junge katholische Priester lieben die Mystifizierung durch das Ritual und landen bei einem stark kultischen Verständnis von Priesterschaft. Es ist offensichtlich, dass sie nicht initiert sind.

Symbol, Ritual und Liturgie

Die Möglichkeit einen Schwellenraum(siehe: Punkt 5) herzustellen, sind Ritual und Liturgie, das heißt der bewusste Einsatz von Bewegungen, Symbolen, Gesten, Kunstwerken und wirkmächtiger Worte.

In einem guten Ritual geht es immer um Leben und Tod, jedoch in prägnanter Rahmung.

Nachdem wir „es“ in einem verdichteten Raum erfahren haben, beginnen wir das Geheimnis überall zu erblicken. Tempel, Kirche und Moschee dienen nur dazu, uns auf den Weg zu setzen und lehren wie man sieht.

Gute Liturgie und wirkmächtige Rituale sind heute wichtiger denn je, um uns aus dem Schlafwandeln heraus in eine echte Schwellensituation zu führen, zumal Wirtschaft und Medien (nach Diskreditierung von Familie, Kirche, Ehe, Schule und Justiz) die einzig übrig gebliebenen Institutionen sind, die unsere Wahrnehmungsraster vorformen.

Das Ritual der Namensgebung und Zeichnung

Namengebung: „Du sollst nicht mehr Jakob heißen, sondern Israel....“ (1Mos.32,19.31). Die Entdeckung dass ein Mensch Anteil hat am wahren Selbst.) wird oft dadurch ausgedrückt, dass ein Mann oder eine Frau einen neuen Namen erhält; es geht um eine neue Identität, eine neue Persönlichkeit: aus Sarai wird Sara, aus Saulus wird Paulus, aus Simon wird Petrus. Bei jedem dieser Menschen änderte sich das Lebensziel, der Bezugspunkt und die Berufung, und das alles aufgrund einer inneren Durchbruchserfahrung.

Katholiken hatten einmal den Brauch , bei der Firmung einen neuen Namen anzunehmen.

Bei Initiations- und Übergangsriten konnte man feststellen, wie die öffentliche Proklamation des Namens eine profunde Würde und Identität wiederschenkte.

Neugeborene in christlichen Familien in Indien (Kerala) haben noch keinen Namen. Das Kind wird nach seiner Geburt für einige Tage und Wochen beobachtet und hat solange keine signifikante soziale Identität, bis die beobachteten Charakterzüge und der Ruf Gottes sich zusammenfügen und durch eine Namengebung während der Taufe festgelegt werden.

Dasselbe gilt für die Visionssuche der amerikanischen Ureinwohner; hier dürfen Initianden nicht ins Dorf zurückkehren, bevor sie einen heiligen Namen kennen gelernt haben und mit dem großen Geist zusammengetroffen sind.

Dieselbe Intuition findet sich auch bei Liebenden, die sich Kosenamen geben, manche verwenden geheime, heilige Namen, um Gott anzurufen. Wo ein solcher persönlicher Name existiert, liegt für gewöhnlich eine intime Ich-Du Beziehung vor, die da lautet: „Ich gehöre nicht mit selbst. Durch den Blick des anderen erhalte ich meinen eigentlichen Namen, den eines Geliebten.“

Zeichnung: Jakob wird vom Engel an der Hüfte verletzt. Die Wunde signalisiert, dass wir die Strecke bewältigt und den notwendigen Kreislauf vollendet haben. Jakob hält seinen Ringkampf solange aus, bis er den Segen erhält. Den eigentlichen Segen, der er empfängt ist der, die ganze Nacht hindurch zu kämpfen, obwohl er an der Hüfte verletzt war. Der Körper wird dann zur lebenslangen Predigt, indem er uns daran erinnert, dass unsere Wunde unser Segen ist. Menschen mit Behinderung haben potentiell einen gewissen Vorsprung. Was früher durch Fasten, Beschneidung, rituelle Verletzungen, Kopfrasur etc. geschah findet sich heute wieder in säkularer Form in dem Bedürfnis Jugendlicher nach Tattoos und Piercings.

Der Übergang vom falschen zum wahren Selbst (der deutlich markiert sein will) ist so bedeutungsvoll, dass die Katholiken von einigen Sakramenten sagen, sie seien unzerstörbare Zeichen. Der neue Name, das Wasserritual, die Ohrfeige, die Ganzkörpersalbung mit Chrisam, das Zeichen des Kreuzes - dies waren alles Zeichnungen des Körpers, die daran erinnern, dass wir den inneren Wandel und unsere Würde an unserem physischen Selbst tragen. Wahre Initiation drückt ein unauslöschliches Siegel auf, gibt einen heiligen Namen, jedoch nur dann, wenn das durch eine heilige Wunde begleitet wird, die daran erinnert: das Leben ist hart.

Männliche und weibliche Symbole

Für Männer muss ein Symbol und Ritus holzschnittartig, brutal, ehrlich, hart sein, sonst kann er durch die Mauer von Unbewusstheit und Verleugnung nicht durchdringen, die Männer um sich aufbauen. Männer sind fasziniert von Bildern, die mit Abenteuer und Gewalt zu tun haben, männliche Initiationsriten aller Kulturen haben mit Blut, Schweiß, Nacktheit, körperlicher Ausdauer, mit Erde und Schmutz und einer gewissen Brutalität zu tun durch Zufügen von Wunden.

Sanfte Sakramente bewirken bei Männern nichts. Die Kirche wurde in den meisten Ländern zur Frauensache, Jungen im Alter von 12 Jahren wollen sich meist nicht mehr verkleiden und Ministranten sein.

Die meisten offiziellen kirchlichen Rituale sprechen weit mehr die weibliche Psyche an als die männliche. Trotz der durch und durch patriarchalen Struktur der Kirche sind ihre Symbole und ihre Liturgie sehr weiblich: ästhetisch kontrolliert, bewusst farblich gestaltet, Spitze und Seide, Weihrauch und Kerzen, puppenähnliche Statuen, stilisierte Formen, die an Choreografie erinnern - alles hübsch anzuschauen.

Die Evangelischen, denen diese Formen fremd sind, setzen auf sentimentale Kunstwerke, sentimentale Musik und sentimentale Reden.

Das alles nährt den Geist des durchschnittlichen Mannes nicht. Für den Mann von der Straße oder für einen normalen Arbeiter ist das kirchliche Ritual und die heilige Zeremonie feindliches Ausland statt heiliger Raum. Er langweilt sich zu Tode. Männer lernen durch Aktion und Bewegung, durch ritualisiertes Verhalten besser als wenn sie zuhören sollen, Gruppengespräche führen und ihre Gefühle mit Worten beschreiben sollen.

Jesus und die kirchlichen Rituale

Die meisten offiziellen kirchlichen Rituale (ob römisch-katholisch, orthodox, protestantisch oder freikirchlich) stehen im Kontrast zu dem, was wir Jesus tun sehen.

Unsere Traditionen haben Zeichen geschaffen, die das Heiligtum symbolisieren: bunte Glasfenster, Ikonen, Kreuze, Chorgewänder, verzierte Kanzeln.. Jesus steht für etwas ganz anderes. Er hat kaum ein Symbol aus Tempel oder Synagoge verwendet ohne zumindest dessen Bedeutung verändert zu haben. So nannte er (Jesus) sich selbst „Licht der Welt“ (Joh 8, 12) in Anspielung auf die festliche Fackel am letzten Tag des Laubhüttenfestes oder beim letzten Abendmahl bezeichnet er sich selbst als Brot des Paschamahles.

Jesus agiert meist außerhalb der offiziellen heiligen Bezirke. Er tut seine Arbeit überwiegend auf der Straße, in Privathäusern oder in der freien Natur. Er hat gern Körperkontakt im Allgemeinen und mit Frauen im Besonderen. Er hat keine Probleme mit Toten, Kranken, bekannten und heimlichen Sündern, mit Aussätzigen und rituell Unreinen.

Er verwendet Brei aus Speichel und Erde, vollzieht Waschungen am Jordanufer oder Teich Siloah, erschafft sich ein eigenes Symbolsystem, wobei er sich zugleich auf die kulturellen und religiösen Symbole stützt, welche sein Volk kannte und verstand.

Jesus brach liturgische Regeln, so machte er aus dem rituellen Trinkspruch über mehreren Kelchen während des Passahmahles den einen Kelch, aus dem alle tranken. Zudem sagte er den Jüngern sie sollten Blut trinken. (vgl. dagegen 3 Mose 17, 10-20) Jesus teilte auch mit Judas die Kommunion, einem eindeutig Unwürdigen. Das ganze Verhalten Jesu ist viel eher Antistruktur als Struktur, das liturgische Protokoll scheint nicht im Mindesten sein Anliegen gewesen zu sein. (vgl. dazu die teils minutiösen liturgischen Vorschriften in so manchem Priesterseminar).

Jesus benutze keine formelle oder akademische Sprache, er sprach Mundart oder Dialekt, verwendete volkstümliche Metaphern über alltägliche Vorkommnisse aus dem normalen Leben von Bauern, Fischern und Hausfrauen.

Ihm schien wichtiger von den Außenseitern verstanden zu werden als von den Insidern. Titel, vornehme Herkunft und Statussymbole waren ihm gleichgültig. Über Kleidung sprach er nur zweimal: einmal in seiner Kritik an den Priesterquasten und Gebetsriemen, einmal, dass sich nur die Heiden um solche Dinge sorgen.

Jesus war eindeutig Laie ohne formelle Ausbildung. Wir haben Ordnungen zu Ehren Jesu geschaffen, der niemals von jemand Verehrung verlangt hat, sondern ausschließlich Nachfolge. Wir erschaffen komplizierte Zeremonien für einen Mann, der kaum jemals an solchen Zeremonien teilgenommen haben dürfte.

Jesus agierte in seiner Religionsausübung stark als Mann und stark als Laie. Er wandte sich nicht an Stubenhocker und Sicherheitsfanatiker, sondern an Fischer, Geschäftsleute und Widerstandskämpfer. Die kirchlichen Typen dagegen haben ihm das Leben schwer gemacht. Statistiken in aller Welt belegen wie wenig Männer überall auf der Welt am Gottesdienst teilnehmen und Männer, die sich für Religion interessieren wird beigebracht, dass sie weiblich, sensibel und kirchlich sein müssen; für die meisten Männer dieser Welt ist das nichts, es spricht sie nicht einmal an.

Doch Jesus warnt vor grundsätzlicher Ablehnung und Opposition; Jesus fordert zu einer positiven und offenen Haltung gegenüber der Wirklichkeit ein. Jedes Nein muss aus einem vorangehenden, fundamentalen Ja stammen. Jesaja, Jeremia, Amos und Ezechiel wandten sich scharf gegen die Hofpropheten, das Opfer im Tempel, die eigennützige Priesterschaft, formalisierte Rituale oder die Vorstellung, das Heil habe etwas mit Abstammung oder Gruppenzugehörigkeit zu tun. Doch niemand konnte bezweifeln, dass allein die Begegnung mit dem „Heiligen Israels“ ihnen ihre kritischen, drängenden Worte eingegeben hatte. Die Versuche Jesu und des Paulus waren nicht antisemitisch, sondern wandten sich gegen jegliche Religion, die sich selbst dient, statt Gott zu dienen oder der Transformation des Menschen ins Göttliche. Religion ist dann optimal, wenn sie über sich hinausweist wie bei Johannes dem Täufer und sie ist dann am schlechtesten, wenn sie die Realität durch Rituale, den Inhalt durch Behälter, den Wein durch Schläuche ersetzt.

Der Franziskaner Richard Rohr, der in Albuquerque/New Mexico das Zentrum für Aktion und Kontemplation leitet, ist Vorkämpfer einer spirituellen Erneuerung und engagiert sich seit vielen Jahren für eine Befreiung der Männer. Er fordert von den Männern, die zu ihm kommen, einen Abschied von Machogehabe, leeren Statussymbolen, Karrierismus aller Art, falscher Kraftmeierei und oberflächlicher Spiritualität. Stattdessen eine Würdigung von Weiblichkeit und Männlichkeit, neue Ehrlichkeit, Tiefe und Authentizität. Und es ist unüberhörbar in seinen Büchern, dass er all das im institutionalisierten Christentum schmerzlich vermisst. Seine Impulse, das fast vergessene Wissen um die Initiation neu zu beleben und sogar aus der Bibel abzuleiten, sind zugleich eine deutliche Kritik an einer selbstverliebten, bewegungslosen und oberflächlichen kirchlichen Religiosität.

(Text von Gustav Schädlich-Buter)