Eine Einführung in die vier Evangelien

Das Matthäusevangelium

(Diese Einführung ist Zusammenfassung und Exzerpt aus: Die Bibel, Mit Einführungen und Meditationen von Anselm Grün, Bielefeld 2001, (S.415-418), E. Drewermann, Das Matthäusevangelium Bilder der Erfüllung, Olten 1992. Nur für den persönlichen Gebrauch)

Matthäus schreibt sein Evangelium um 80 nach Christus und er wendet sich an die Judenchristen. Er will die kirchlichen Gemeinden in ihrer Situation stärken und festigen. Matthäus legt die Worte Jesu so aus, dass sie konkrete Weisungen für die Christen in ihren Gemeinden sind. Nicht umsonst wurde das Matthäusevangelium in der frühen Kirche am meisten gelesen und gilt als das kirchliche Evangelium. Nicht so sehr der Einzelne ist Adressat, sondern die Gemeinde, die Kirche und die Frage: wie lässt sich die Botschaft Jesu nach der Stimmung des Aufbruchs am Anfang und der inneren Erfahrung einer mitreißenden Freiheit gegenwärtig halten in den Gemeinden, in lebendigen Strukturen und wie über den historischen Ort und Zeitpunkt des Jesusgeschehens hinaus in alle Welt (Mt 28, 19-20) weitergeben. Matthäus Hauptinteresse ist nicht die Vergangenheit, sondern die Gegenwart. Zunächst einmal seine Gegenwart - die Situation nach dem jüdischen Krieg, in welcher die Pharisäer das jüdische Leben alleine bestimmten und alle aus der Synagoge ausschlossen, die dem Weg Jesu folgten. Matthäus hat keine Probleme, die Konflikte zwischen der Kirche seiner Zeit und der Synagoge in das Leben Jesu zurück zu projizieren. Von daher ist die harsche und äußerst scharfe Kritik Jesu (23,1-32) an den Pharisäern zu verstehen, die wohl weniger dem irdischen Jesus entspricht als dem Anliegen des Matthäus, dem Machtmissbrauch der Gesetzesreligion Einhalt zu gebieten. Jesu Worte in der Fassung des Matthäus gelten heute allen Priestern und Seelsorgern, die in der Versuchung stehen, geistlichem Machtmissbrauch zu erliegen.

Das Matthäusevangelium liegt uns in jener Sprache vor, die damals alle Welt verstand: in Griechisch. Allerdings handelt es sich um ein Übersetzungsgriechisch, das sich in Wortwahl und Syntax nur verstehen lässt auf dem Hintergrund der griechischen Übersetzung des Alten Testaments (der Septuaginta) sowie - neben den Vorlagen des griechischen Markusevangeliums und der Quelle - unter der Annahme eines aramäischen Orginals.(Aramäisch und nicht Hebräisch war die Sprache des Volkes zur Zeit Jesu und es ist mehr als wahrscheinlich, dass Jesu Worte und Taten auf aramäisch überliefert wurden.) Für eine gelungene Übersetzung ist es wicht, nicht das schlechte Griechisch des Matthäus in gutes Deutsch zu übertragen, sondern in der deutschen Übersetzung versuchen, das semitische Sprachkolorit nach Möglichkeit durchscheinen zu lassen. (z.B. in der Wortstellung der hebräische Satz beginnt mit einem Verb, gefolgt vom Subjekt, danach das Objekt; da Matthäus entsprechend der semitischen Syntax, abweichend von der griechischen Wortfolge, Satz für Satz das das Verb an den Anfang des Satzes stellt, bleibt nichts anderes übrig (für eine gute Übersetzung) diese stilistisch sperrige Übersetzung des Matthäusevangeliums nachzubilden.Tatsächlich scheinen aber schon einige Übersetzungsfehler im griechischen Text des Markus vorzuliegen. (z.B.Mt 21, 5.7) (vgl dazu E. Drewermann, Das Matthäusevangelium, Bilder der Erfüllung, Olten 1992, S. 187f.)

Matthäus versteht Jesus als den neuen Mose, der ein neues Gesetz gibt, das die Menschen in Eintracht und Frieden leben lässt. Parallel zu den 5 Büchern Mose hat Matthäus fünf große Reden Jesu zusammengefasst.

Die bekannteste Rede ist die Bergpredigt (5,1-7,29), in deren Mitte das Vater Unser steht. Als Söhne und Töchter Gottes dürfen wir Gott Vater nennen und erfahren in dieser Beziehung eine unantastbare Würde. Wer im Gebet Gott als seinen Vater erfährt, der wird in den Menschen seine Brüder und Schwestern erkennen. Das bedeutet, dass auch meine sogenannten Feinde vom Wohlwollen Gottes und seiner Liebe leben.

Matthäus ist der erste Evangelist, der die Geburtsgeschichte Jesu erzählt und zwar aus dem Blickwinkel von Josef, der wie sein alttestamentliches Vorbild auf Träume hört. Gott gibt seine Weisungen im Traum. Josef flüchtet vor König Herodes, der Jesus nach dem Leben trachtet, mit dem Kind und Maria nach Ägypten. Jesus übernimmt nicht nur die Weisheit Israels, sondern auch Ägyptens und damit der ganzen Welt. Jesus wird von Matthäus als Weisheitslehrer beschrieben, der zum wahren Leben anleitet.

Jesus gewinnt Jünger für sich und Matthäus sieht in der Jüngerschaft das Wesen des Christentums, eine Jüngerschaft, die sich zu bewähren hat. Was Matthäus über die Jünger schreibt, will uns anregen über unser eigenes christliches Handeln nachzudenken. Für Matthäus ist die größte Gefahr der Jüngerschaft nicht der Unglaube, sondern der Kleinglauben.

In seine Jüngerschaft beruft Jesus nicht nur Gerechte, sondern auch Sünder (9, 9-13) und aus den Jüngern wählt er 12 Apostel aus. Jene erhalten die Vollmacht zu heilen und unreine Geister auszutreiben. (10, 1) Sie sollen das heilende Wirken Jesu in die Welt hinaustragen, womit Matthäus der Kirche bewusst machen will, dass sie von Jesus einen Heilauftrag hat, den sie lange Zeit vernachlässigt hat.

Matthäus erzählt viele Gleichnisse, auch „Sondergleichnisse“, die bei den anderen Evangelisten nicht zu finden sind. Berühmt ist das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg. Gottes Gnade erweist sich großherziger als unser kleinliches Berechnen. (20, 1-16 ) Der Maßstab ist nicht moralische Tugend oder menschliche Recht- und Gerechtigkeitsvorstellung, sondern grundlose Güte, innere Freiheit, innere Weite.

Weitere Sondergleichnisse: 18,21-35; 22,1-14; 25,1-13;

Die Gleichnisse sind ähnlich zu deuten wie Träume und manche Gleichnisse sind wie Mahnträume, die uns die Augen öffne wollen bewusst und achtsam zu leben. „ Gott wohn in den Träumen unserer Seele, er atmet in den Worten unserer Zärtlichkeit, er nimmt Gestalt an in den Bildern der Maler und Dichter, und er singt sich aus in den Liedern des Glücks.“ (E. Drewermann a.a.O., S. 295)

Matthäus schildert uns Jesus als den barmherzigen und gütigen König, als gewaltlosen Helfer und Lehrer, der von Macht- und Gewaltverzicht, Versöhnung und von einem Erdulden spricht, das die Verheißung des Sieges in sich trägt. Jesu möchte nicht, dass die Macht der Bosheit, die Handlungsfreiheit der Güte einschränkt: „überhaupt nicht reagieren auf das Böse“ (5,39), lautet seine Weisung. Im Sinne Jesu, der Gott schildert als einen, „der seine Sonne aufgehen lässt über Bösen und Guten und regnen lässt über Rechten und Unrechten“ (5,45), sollte Schluss damit sein, Menschlichkeit und Güte für Schwäche oder Ressentiments zu halten. Jesu Mittel das Böse durch das Gute zu überwinden lauten: Abbau der Spannungen durch Entgegenkommen, Verzicht auf Eskalation, Deeskalieren, Eingehen statt Losgehen auf den anderen. (vgl. Mt. 5,38-42)

Jesus verzichtet auf irdische Machtmittel, weil er sich unter dem Schutz des Vaters sicher weiß. Gottes stille Macht erweist sich aus in Jesu Passion stärker als die Welle der Gewalt, die über ihn hereinbricht. Ruchlose Menschen schlagen ihn, kreuzigen ihn und er stirbt mit einem Schrei. Aber Gott erweckt ihn zum Leben und gibt dem Auferstanden alle Macht: „Mir ist alle Macht gegeben im Himmel und auf der Erde.“ (28,18) In dieser Vollmacht sendet der Auferstandene seine Jünger in die ganze Welt, um alle Menschen zu seinen Jüngern zu machen. Jesus, der verspricht am Ende der Welt wieder zu kommen, entlässt uns alle in den Alltag mit dem tröstenden Wort: „Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt.“ (28,20)

Das Markusevangelium

(Diese Zusammenfassung und Einführung in das Markusevangelium hat als Quelle: Die Bibel, Einführungen und Meditationen von A. Grün, S. 445-447) und Eugen Drewermann, Das Markus Evangelium, Erster teil, Bilder von Erlösung, Olten 1987, S. 11-44) und ist ausschließlich zur privaten Nutzung gedacht)

Das Markusevangelium ist das älteste Evangelium und vermutlich kurz vor dem Jahre 70 nach Christus, vor der Zerstörung Jerusalems durch die Römer, entstanden. Markus ist der Erste, der die Überlieferung von Jesus von Nazareth, als Evangelium bezeichnet. Evangelium heißt Frohe Botschaft. Die Frohe Botschaft Jesu besteht darin, dass Gott den Menschen in Gestalt Jesu nahe gekommen ist, und zwar als der heilende und rettende Gott.

Markus sammelt die ihm vorliegenden mündlichen Überlieferungen: einzelne Jesusworte, Heilungsgeschichten, Parabeln, Gleichnisse und die Passionsgeschichte. Das Leben Jesu wird von Beginn seines Auftretens bis zu seinem Tod und seiner Auferstehung beschrieben.

Was Markus an Überlieferung vorfand, das fügt er zu einem klaren Rahmen zusammen. Jesus beginnt seine Tätigkeit nach der Gefangennahme des Johannes des Täufers. Dann wandert er nach Norden und von dort nach Jerusalem. Die letzte Woche in Jerusalem wird so ausführlich beschrieben, dass manche sein Evangelium als Passionsgeschichte mit Einleitung genant haben. Sein Evangelium atmet noch die Frische des Ursprungs.

Markus hat Jesus vor allem als Wundertäter beschrieben und die Heilungsgeschichten am ausführlichsten und in allen Einzelheiten beschrieben.

„Wer den Boden des Markusevangeliums betritt, befindet sich, ohne dass er es bemerkt, in einer unheimlichen, erschreckend-fremdartigen, mystisch-dämonischen Welt…“ (E. Drewermann, Das Markus Evangelium, Erster Teil, S.25)

Anders als die jahwistische Urgeschichte (vgl. Genesiserzählung), die noch im symbolischen Bild der „Schlange“ den Ursprung des Bösen beschreibt, übernimmt Markus aus der spätjüdischen Apokalyptik die Vorstellung vom Satan und den ihm dienstbaren Dämonen, geistigen Kräften also, die diese Welt und den Menschen gefangen halten und sie gegen Gott einnehmen. Dieser „Teufel“ ist für Markus so sehr der Fürst dieser Welt, dass das Reich Gottes sich seinen Platz auf Erden allererst freikämpfen muss, um zu den Menschen zu gelangen. Das Heil wird quasi von außen, aus der Sphäre Gottes an den Menschen herangetragen. Jesus, der diese Sphäre verkörpert, wird von dem Menschen mit all ihrer gefrorenen Angst, Verzweiflung und Qual, die sie subjektiv gar nicht mehr spüren, zunächst als Eindringling und „Ordnungsgefährder“ erlebt. Dort wo das Heil nahekommt, werden die alten Kräfte der Zerstörung wach. (z.B. Die Heilung des Besessenen von Kapharnaum, vgl. Mk 1, 21-28) So als ob Menschen nichts mehr fürchten als ihre endliche Befreiung und als ob sie die Güte, die sie leben ließe, wie eine tödliche Gefahr von sich weisen müssten. Das ganze Markusevangelium durchzieht diese Spannung, in welche auch der Leser mit hineingenommen wird, ob das je eigene Leben von den Kräften des Aufbaus oder der Zerstörung, des Heils oder des Unheils bestimmt wird. Das Markusevangelium stellt einen in die persönliche Herausforderung der absoluten Entgegensetzung zwischen Himmel und Hölle, Glaube und Verzweiflung und Leben und Tod.

„Wieviel an Angst, Hass, Verehrung, Enttäuschung, Hoffnung, Empörung, Reue, Leid und Beseligung muss ein Mensch auf dem Weg der Läuterung und Rettung erfahren haben, ehe sich sein Leben um ein Zentrum ordnet, an dem es zurückfinden kann zu seiner verlorenen Heimat?“ (E. Drewermann, a.a.O., S.30)

Das Markusevangelium spricht von einer Welt der Geister, die in einer Gegenherrschaft zum Reich Gottes Krankheiten, Übel, Unwahrheit und Lüge bis zur Verhärtung der Herzen über die Menschen bringen.

Markus versteht die Krankheit des Menschen als Besessenheit. Jesus redet bei Markus anders als die Schriftgelehrten; Jesus redet nämlich nicht über Gott, sondern so, dass Gott darin erfahrbar wird. Und wenn Gott durch seine Worte und sein Reden erfahrbar wird, dann regen sich die „Dämonen“, die unreinen und trüben Geister, die das Denken des Menschen verdunkeln, werden ans Licht gelockt. Jesus heilt den Menschen, indem er ihn von „Dämonen“ (dämonische Gottesbilder, verzerrte Auffassungen vom Menschsein, von der Frömmigkeit, innere, abgespaltene Ängste, ein Zustand der Verzweiflung, wenn Menschen sein wollen, was sie nicht sind ...) befreit, die ihn gefangen halten. Der „Geisterglaube“ bei Markus ist keineswegs etwas exotisch Fremdes, sondern im Herzen eines Menschen latent Vorhandenes, das auf den Plan tritt, wenn nur die innere Angst, die moralisch erzwungene Abspaltung und die Unkenntnis weiter Teile des Psyche ein gewisses Maß überschreiten. Heilung hat immer mit Befreiung zu tun. Jesus bringt bei Markus den Menschen wieder in Berührung mit seinem ursprünglichen Bild, das Gott sich von ihm gemacht hat. Die Wundererzählungen bei Markus zeigen wie die Angst im Hintergrund aller Krankheit, „Besessenheit“ und Selbstverfehlung durch einen Glauben überwunden wird, innerhalb dessen der Mensch Gott als seinen Vater wiedererkennen kann und im Gefühl einer unverdienten und geschenkten Daseinsberechtigung mit sich selbst zusammenwachsen kann.

„Diesen Gott, der von Ewigkeit her will und gewollt hat, dass es uns gibt, mit allen Kräften des Seele zu lieben, so dass unsere ganze Persönlichkeit sich darunter eint und zusammenschließt, ist nach Worten von Dtn 6,4.5. die einzige Aufgabe unseres Lebens (Mk 12, 28-29) (vgl. Eugen Drewermann, Das Markus Evangelium, Erster Teil, Olten 87, S.36)

Der Tod Jesu ist für Markus nicht Niederlage und Scheitern, sondern Sieg des Unterliegenden. Am Kreuz wird offenbar, dass Jesus wahrhaft der Sohn Gottes ist und die Mächte der Finsternis besiegt hat und die Dämonen überwunden hat. Erst in der Passion und in der Auferstehung wird sichtbar, dass Jesus der wahre Messias ist (vorher: das sogenannte „Messiasgeheimnis“: Jesus verbietet den Jüngern von seinen Heilungswundern zu sprechen)

Am Kreuz hat er die Mächte der Finsternis, die Dämonen besiegt. Die „Dämonen haben keine Macht mehr über den Menschen. Der zerrissene Vorhang des Tempels ist Zeichen dafür, dass die Menschen freien Zugang zu Gott haben. Jesu endgültiger Sieg über die Dämonen am Kreuz wird in der Auferstehung allen Menschen sichtbar.

Das Lukasevangelium

(Zusammenfassung zu privaten Gebrauch: Die Bibel, Mit Einführungen und Meditationen von Anselm Grün, Bielefeld 201, S.459-462; Stuttgarter Kleiner Kommentar, Neues Testament 3, P.G. Müller, Lukasevangelium, Stuttgart 1988)

Lukas, der in der Tradition als Arzt und Maler beschrieben wird, ist einer, der in griechischer Philosophie und Literatur bewandert ist. Er verfasst etwa zwischen 80 und 90 nach Christus nicht nur das Evangelium, sondern auch die Apostelgeschichte. Lukas nennt sein Buch nicht Evangelium, sondern „Erzählung“ - und Lukas ist in der Tat ein meisterhafter Erzähler. Sein Anliegen besteht darin, Jesu Worte und sein Wirken so zu erzählen, dass er die Griechen begeistert. Er möchte Bestseller verkaufen auf dem antiken Büchermarkt mit der Absicht, die Menschen für Jesus zu interessieren und in seine Nachfolge zu rufen.

Lukas versteht die Kunst, Szenen zu schildern wie ein Gemälde, er ist zudem ein meisterhafter Erzähler, er treibt Theologie durch Erzählen.

Als Arzt gilt Lukas, weil es ihm ein großes Anliegen ist, Jesu heilendes Wirken zu erzählen. Manche meinen, dass die erzählten Heilungsgeschichten darauf hinweisen, dass er sich in der medizinischen Fachsprache ausgekannt haben muss.

Das von ihm am häufigsten gebrauchte Wort ist „heilen“.

Lukas schildert Jesus als Anführer zum Leben. Er ist kein Moralist, der den Menschen zunächst als Sünder sieht, sondern er beschreibt Jesus als einen, der den Menschen in Berührung bringen möchte mit seinem wahren Wesen.

Bei Lukas werden von allen Evangelisten die meisten Mahlgeschichten erzählt. Beim Mahl zeigt Jesu Gottes Güte und Menschenfreundlichkeit und dort verkündet er ähnlich den griechischen Philosophen seine wichtigsten Lehren.

Der lukanische Jesus wird nicht nur von Jüngern, sondern auch von Frauen begleitet, die gleichberechtigte Jüngerinnen werden. Er glaubte wohl, dass man von Gott nur richtig sprechen könne, wenn wir es zugleich vom Mann und der Frau aus tun.

Bei Lukas steht die ausführlichste Erzählung von der Geburt Jesu und zwar beschrieben aus der Sicht Marias (statt wie bei Matthäus aus der Sicht des Josef). Maria wird zum Vorbild des Glaubens, die sich auf das Wort des Engels einlässt. Ihr Loblied auf Gott im Magnifikat (1,46-55) ist das schönste, das die Kirche besitzt.

Lukas erzählt Gleichnisse, die weder bei Markus noch bei Matthäus zu finden sind. Dabei ist eines der schönsten Gleichnisse, die wir kennen; nämlich das vom verlorenen Sohn (15,11-32) Meisterhaft erzählt, bringt es uns in Berührung mit der Güte und Barmherzigkeit des Vaters, aber auch mit den konträren Polen unserer Existenz (wagemutig-jüngere Sohn und angepasst - der ältere Bruder;/ an anderer Stelle: aktiv-Martha und kontemplativ-Maria. )

Lukas arbeitet auch mit dem Stilmittel des inneren Monologs (z.B. Was soll ich tun? 12,17), wobei er die Gedanken des Lesers formuliert und sie ins Gleichnis einbezieht.

Mit dem Schuldigwerden des Menschen geht Lukas sehr nüchtern um. Jede und jeder gerät im Laufe des Lebens in Schuld und es nützt nichts, das ganze Leben mit einem Büßerhemd herum zu laufen. Auch der Umgang mit Schuld braucht Kreativität. Der ungerechte Verwalter (Lk 16, 1-13) weiß, dass er seine Schuld nicht abarbeiten kann und so setzt er auf die Beziehung zu den Menschen. Lukas zeigt, dass die, die als Sünder gelten wir der Samariter, der Zöllner oder die „Sünderin“( Lk 7, 36- 50) oft mehr Gespür für Gott und mehr Liebe zu den Nächsten haben als die sogenannten Frommen (Priester, Levit, Pharisäer). Der Oberzöllner Zachäus zeigt seinen guten Kern als er bedingungslose Annahme von Jesus/Gott spürt (19,1-10)

Auch das Leiden und Sterben Jesu wird von Lukas auf besondere Weise, gleichsam als Schauspiel geschildert. Jesus vergibt am Kreuz noch seinen Mördern und denkt an den Schächer zur rechten Seite, dem er verspricht noch heute mit ihm im Paradies zu sein. Sterbend gibt er betend seinen Geist in Gottes Hand: „Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist“ (23,46).

Der Grieche Lukas kennt die Vorstellung von Opfer und Sühne nicht. Für ihn ist die Art und Weise, wie Jesus als der wahrhaft gerechte Mensch am Kreuz stirbt, ausreichender Anlass zur Umkehr. Das Schauen auf den Tod Jesu am Kreuz verwandelt den Menschen. In dieser Verwandlung besteht die Erlösung. Der Betrachter erkennt darin aber auch, dass er durch manche Bedrängnisse und Leid hindurch gehen muss, um zur Herrlichkeit Gottes zu gelangen. In Tod und Auferstehung Jesu wird deutlich, dass es keinen Tod mehr gibt, der uns gefangen hält, keine Dunkelheit, in die nicht das Licht der Auferstehung fällt.

Die Begegnung des Auferstandenen mit den Emmausjüngern (24, 13-35) will deutlich machen, dass der Auferstandene uns auf unserem Lebensweg begleitet und immer wieder erfahrbar wir, wenn wir gemeinsam das Brot brechen.

Das Johannesevangelium

(Diese Einführung ist als Exzerpt und Zusammenfassung folgenden Büchern entnommen und für den privaten Gebrauch gedacht: Die Bibel, Mit Einführungen und Meditationen von Anselm Grün, S. 483-486, Freiburg im Breisgau 2002; B. Schellenberger, Ich bin es, der mit dir redet, Die Botschaft des Johannesevangeliums, S.9-12, Freiburg im Breisgau 2008)

Das vierte Evangelium, das Johannesevangelium ist wohl am Ausgang des ersten Jahrhunderts entstanden und unterscheidet sich deutlich von den drei anderen Evangelien, die von den Exegeten (Bibelauslegern) Synoptiker genannt werden. Das Johannesevangelium zeigt uns einen Jesus, der von den Menschen nicht verstanden wird. (Johannes arbeitet mit dem Stilmittel des „Johanneischen Missverständnisses“; vgl. das Gespräch Jesu mit der Frau am Jakobsbrunnen). Der Großteil des Johannesevangelium sind Reden und Dialoge, nur 20% sind Erzählstoff. Während die Berichte von Matthäus, Markus und Lukas gut über Jesus und seine Botschaft informieren, stellt der Text des Johannesevangeliums die Leser auf gleiche Augenhöhe: sie sollen ihm wirklich begegnen, sich von ihm ansprechen lassen und ihm antworten. Den Lesern will sich ein Gegenüber „einformen“, damit sie sich selbst und ihre Welt mit neuen Augen sehen.

Die Tradition nahm an, dass der Autor des vierten Evangeliums der Bruder des Jakobus gewesen sei. Die meisten Exegeten heute meinen, es handle sich beim Autor dieses Evangeliums um Johannes, den Lieblingsjünger Jesu, der die Worte Jesu hineinspricht in eine Gemeindesituation, die von Spaltung bedroht war.

Ende des 1. Jahrhunderts der Zeitrechnung nach der Geburt Christi oder in den ersten Jahren des 2. Jahrhunderts hatte sich endgültig herausgestellt, dass Jesus von der Mehrzahl seiner jüdischen Glaubensgemeinschaft abgelehnt wurde. „Er kam in sein Eigentum, und die Seinigen nahmen ihn nicht auf.“(Joh1,11) Den Autor des Johannesevangeliums treibt also die Frage um, die auch den heutigen Leser bewegen könnte: Warum sollte man sich angesichts der vielen anderen Stimmen, die um uns werben, ausgerechnet auf die Stimme einlassen, die von sich sagt „Ich bin es, der mit dir redet“ (vgl. das gleichnamige Buch von B. Schellenberger, Die Botschaft des Johannesevangeliums , Freiburg im Breisgau 2008). Warum haben sich viele, auch heute noch, auf die Stimme Jesu eingelassen? Und warum blieben viele, ja noch mehr Menschen für sie verschlossen?(vgl. Schellenberger, S.9 f.)

Johannes will vor allem seine Mitchristen zur Selbstbesinnung anregen. Diejenigen, die sich von Jesus nicht ansprechen lassen, sind im Evangelium plakativ „die Juden“ und die „Pharisäer“. Sie spielen im Bibliodrama des Johannes die Fraktion derjenigen, die sich an verfestigtem religiösem Wissen und bestimmten Praktiken festhalten. Sie dürfen nicht als Aussage über das Judentum missverstanden werden. Damit wurde eher die gegenwärtige Situation, die Johannes erlebte, vergegenwärtigt als die Situation Jesu in den Jahren seines öffentlichen Wirkens. In den achtziger Jahren des 1. Jahrhunderts, nach der Zerstörung des Tempels durch die Römer, wurden die Anhänger Jesu offiziell aus dem Judentum ausgeschlossen. Es war eine Zeit der schroffen gegenseitigen Ablehnung. Im 6. Kapitel des Evangeliums gibt Jesus eine Antwort auf die Frage, warum manche „sehen“, andere „blind“ bleiben, manche Jesu Stimme hören, andere für sie verschlossen bleiben: „Niemand kann zu mir kommen, wenn ihn der Vater, der mich gesandt hat, nicht zieht.“ (Joh 6,44) Aber warum zieht der Vater manche, andere zieht er nicht? Zieht er mich? Und möchte ich überhaupt gezogen werden?- all dies sind Fragen, die das Johannesevangelium den Leserinnen stellt. (vgl. Schellenberger, Ich bin es, der mit dir redet, Die Botschaft des Johannesevangeliums, S. 11 f.)

Eine andere Strömung , mit der sich Johannes auseinandersetzen musste war die Gnosis. Sie ist eine dem New Age vergleichbare Bewegung, die Einfluss nahm auch innerhalb des Christentums. Johannes greift deren zentrale Begriffe, die mit Bewusstseinserweiterung und spiritueller Erfahrung (z.B. Licht, Leben..)zu tun haben auf und deutet sie auf seine Weise um. Im konkreten Menschen Jesus leuchtet Gottes Licht für uns auf, er ist unser Leben, er ist der Weg, die Wahrheit und das Leben.(vgl.Joh14,6)

Leben ist das häufigste Wort im Johannesevangelium, es taucht 52 mal auf. Und Jesus erfüllt unsere Sehnsucht nach wahrem Leben. Im konkreten geschichtlichen Menschen Jesus aus Fleisch und Blut schauen wir die Herrlichkeit Gottes, eine Herrlichkeit voll Gnade, Zärtlichkeit und Liebe. Und darin leuchtet die Wahrheit auf. Das griechische Wort für Wahrheit aletheia (Unverborgenheit) meint, dass der Schleier weggezogen wird und wir auf den Grund schauen. In diesem Menschen Jesus schauen wir auf den Grund, auf das Geheimnis Gottes und das Geheimnis der ganzen Welt.

Obwohl der Evangelist Johannes über genaue Ortskenntnisse verfügte und seine Chronologie historisch am ehesten stimmte, erzählte das Geschichtliche immer schon hintergründig und das Geschehene wurde zum Symbol für etwas Tieferes. Für Johannes ist ein Leben, das nur um das Vordergründige kreist, kein wirkliches Leben.

Johannes deutet in der sogenannten Brotrede das Geheimnis der Eucharistie. Jesus als Person ist das Brot, das uns auf unserem Weg in das Gelobte Land nährt. Jesus gibt sich selbst im Brot.

Eucharistie und Glaube gehören zusammen. Wenn ich Jesu Worte glaube, dann ist Jesus für mich Brot, dann kann ich wirklich leben. In der Eucharistie werde ich eins mit Christus und erfahre darin ewiges Leben, Leben, in dem Zeit und Ewigkeit, Himmel und Erde, Gott und Mensch zusammenfallen.

In der Erzählung von der Fußwaschung deutet Johannes die Eucharistie als ein Hinabbeugen Jesu zu uns, zu unseren verwundeten und verwundbaren Stellen, zu unserer Todeswunde. In der Eucharistie gehen wir schon vom Tod zum Leben hinüber.

Johannes lässt Jesus keine Gleichnisse erzählen, aber er zeigt in Bildworten auf, was das Geheimnis seiner Existenz ist: Jesus ist der gute Hirt, die Tür zu Leben, der wahre Weinstock. Wenn wir in ihm bleiben, bringen wir reiche Frucht. Er ist die Auferstehung und das Leben. Wenn wir an Jesus glauben, dann hat der Tod keine macht über uns.

Johannes schildert Jesus in der Passion als den wahren König, dem Pilatus nichts anhaben kann. Denn Jesu Königtum ist nicht von dieser Welt. Daher hat die Welt auch keine Macht über ihn. Das Kreuz ist bei Johannes nicht der schlimme Galgen, sondern letztlich der Thron, von dem Jesus über die Welt herrscht. Am Kreuz kommt seine Liebe zur Vollendung. Die Menschen mit ihrer Gewalt können Jesus und all jenen, die an seinem Königtum, das nicht von dieser Welt ist, nichts anhaben. In uns ist eine göttliche Würde, die uns niemand nehmen kann, auch nicht der Tod.

Für Johannes ist die Auferstehung nicht eine Fortsetzung des Alten, sondern eine neue, persönliche Beziehung zu Jesus Christus: „mein Meister“ (Maria von Magdala) oder „ Mein Herr und mein Gott“ (Thomas)

Das Johannesevangelium verlangt mehr als alle andere Texte des Neuen Testaments, dass man es sich als geistliche Schriftlesung aneignet: fragend, hörbereit, offen. B. Schellenberger zitiert F. Stier, was ein Kommentator dieses Evangeliums beim Leser erreichen müsste:

„´... ein so erregendes und im besten Sinne unglaubwürdiges Evangelium..müsste die Situation herbeiführen, in die ich mich gestellt sehe, wenn der Zoowächter auf einen Tiger hinter Gittern zeigt: ´Sehen Sie, wie er sie anblickt, er hat es auf Sie abgesehen`, und dann das Gitter öffnet ...`“ (Schellenberger, a.a.O, S.12)

(Text von Gustav Schädlich-Buter)