Der Tod ist nicht das letzte Wort von Gerhard Lohfink

(Gerhard Lohfink, Der Tod ist nicht das letzte Wort, Meditationen 1991)

Der Tübinger Neutestamentler Gerhard Lohfink stellt in seinem Buch die Fragen:

Was geschieht mit uns im Tod? Was passiert mit unserem Ich, wenn wir gestorben sind?

Diese Fragen rühren an das Innerste jedes Menschen und lassen sich auf Dauer nicht verdrängen.

Was geschieht mit uns im Tod?

Was geschieht mit unserem Leben, mit unserem Ich, mit unserem Bewusstsein, mit unserem Dasein, wenn wir gestorben sind? Ist es dann aus mit uns? Kommt dann die große Nacht, der ewige Schlaf, das Nichts? Sind wir dann für immer ausgelöscht oder kommt dann das wahre Leben, die ewige Seligkeit?

Was nach dem Tod mit uns geschieht, können wir nur im Glauben wissen, und darüber lässt sich nur vom Glauben her sprechen. Glauben meint personale Erkenntnis, sich einem anderen ganz anvertrauen und gerade dadurch erkennen.

Was kommt nach dem Tod?

Eine erste Antwort (des Glaubens) lautet:

In unserem Tod werden wir Gott endgültig und für immer begegnen.

Schon in unserem irdischen Leben begegnen wir Gott auf vielerlei Weise; Im Glück, in der Not, im Beten...aber wir können ihn niemals festhalten, er scheint sich zu entziehen, immer wieder müssen wir uns aufs Neue zu ihm aufmachen. Im Tod aber werden wir Gott endgültig begegnen. Himmel- das ist nichts anderes als die Begegnung mit Gott selbst. Die Begegnung mit Gott ist keine ewige Ruhe, sondern ein ungeheures, atemberaubendes Leben, ein Sturm von Glück, der uns immer tiefer in die Liebe und Seligkeit Gottes hineinreißt.

Eine zweite Aussage lautet:

Diese Begegnung wird uns zum Gericht.

Schon jetzt machen wir die Erfahrung: man erkennt mit einem mal, wie eng und egoistisch man bis auf den Grund seines Herzens eingestellt war, welch traurige Wege man gegangen ist und wie sehr man sein Leben ändern müsste. Wenn wir in unserem Tod Gott endgültig begegnen, werden wir das ganze Ausmaß der Güte und Liebe erfahren, mit der Gott uns zeitlebens geliebt hat und dann werden uns die Augen über uns selbst aufgehen. Wir werden erschrecken über unsere Selbstgerechtigkeit, unsere Herzenshärte, unsere Herzlosigkeit und allen unseren Egoismus. Alle Selbsttäuschungen und Illusionen unseres Lebens werden zusammenbrechen, alle Masken werden fallen, alle gespielten Rollen werden aufzugeben sein. Dieser Prozess wird unendlich schmerzhaft sein und uns durchdringen wie Feuer. Das Wort Fegefeuer ist ein missverständliches Wort, das vorbelastet ist. Aber was es eigentlich sagen will, ist, dass uns in der Begegnung mit dem heiligen Gott in einem unmittelbaren Geschehen die Augen aufgehen werden.

Hier muss eine dritte Aussage hinzugefügt werden:

In dieser Begegnung erfahren wir Gott nicht nur als den Richter, sondern wir erfahren zugleich und auf immer das Erbarmen und die Liebe Gottes.

Wir dürfen darauf vertrauen, dass wir im Tod einem gütigen und barmherzigen Gott begegnen werden. Gerade dann wenn wir unsere eigene Unbarmherzigkeit und Härte erkennen, dann wird uns Gott begegnen wie der gütige Vater im Gleichnis, er wird nicht nach Schuld und Gerechtigkeit fragen, sondern uns in unendlicher Freude an sich ziehen. Die Liebe und Barmherzigkeit Gottes lässt sich nicht beweisen, wir können sie nur glaubend erwarten. Wer an die Liebe Gottes glaubt, den wird der Tod in das unbegreifliche und nicht aussprechbare Geheimnis der Liebe Gottes hineinführen.

Das Leib-Seele Problem

In den vergangenen Jahrhunderten sagte man: im Tod trennt sich die Seele des Menschen vom Leib; sie gelangt zu Gott, und sie wird von Gott gerichtet. Schenkt Gott dann der Seele die ewige Seligkeit, so bleibt sie in der Anschauung Gottes, bis ihr am jüngsten Tag bei der Auferstehung der Toten der verklärte Leib hinzugefügt wird.

Dieses Vorstellungsmodell versuchte damit fertig zu werden, dass das Neue Testament von der Auferweckung des ganzen Menschen am Ende der Zeit spricht, dass aber andererseits der Mensch schon unmittelbar im Tod Gott begegnen muss.

Diese Vorstellungsmodell wird von der Theologie mehr und mehr aufgegeben, weil sie zu sehr vom griechischen Denken infiziert ist, dass davon ausgeht, dass die Seele der bessere Teil des Menschen sei und die Seele auch ohne den Leib Gott begegnen könne. Leib und Seele sind nicht zwei Bausteine des Menschen, sondern: der Mensch ist Seele und der Mensch ist Leib. Aber er ist beides in einer untrennbaren Einheit. Deshalb trifft auch der Tod den ganzen Menschen. Der Tod trifft uns ganz, aber er stellt uns auch ganz in unsere bleibende Endgültigkeit vor Gott.

Die vierte Aussage:

Im Tod tritt der ganze Mensch mit Leib und Seele, das heißt mit seinem ganzen Leben, mit seiner persönlichen Welt und mit der ganzen unverwechselbaren Geschichte seines Lebens vor Gott hin. (d.h. mit seinen Freuden, seinem Schmerz, seinem ersten Kuss, seiner erstenLiebe, seinem ersten Schnee, mit all den Worten, die er gesprochen hat ... und all seinen Taten)

Der Mensch wird aber nur wirklich Mensch in der Beziehung zu anderen Menschen, im Mitsein mit anderen, im gemeinsamen Erleben von Welt. In die eigene persönliche Welt gehören auch die anderen Menschen, mit denen man zeit seines Lebens zu tun hatte: Mutter und Vater, Bruder und Schwester, Gattin und Gatte, Kinder, Verwandte, Freunde, all die, für die man Verantwortung trug... Sie alle haben uns geprägt, sie alle gehören zur Geschichte unseres Lebens. Wenn es wahr ist, dass wir mit unserer ganzen Welt vor Gott hintreten, , dann treten wir auch mit diesen Menschen vor Gott hin.

Deshalb die fünfte Aussage:

Mit unserer eigenen persönlichen Welt ist die übrige Welt und die gesamte Geschichte untrennbar verknüpft. Im Tod tritt deshalb zusammen mit uns selbst die gesamte übrige Geschichte vor Gott hin.

Eine solche Annahme ist nur sinnvoll, wenn wir einen anderen Zeitbegriff annehmen. Raum und Zeit sind Anschauungsformen, in denen wir die irdische Wirklichkeit erleben. In der Welt Gottes gibt es nicht mehr unseren Raum und unsere Zeit. Wenn diese Überlegungen richtig sind, dann kann nicht mehr gesagt werden, ein bestimmter Mensch wäre eher bei Gott als ein anderer. Wenn es bei Gott keine irdische Zeit mehr gibt, dann begegnen alle Menschen, selbst wenn sie zu ganz verschiedenen Zeiten gestorben sind, Gott zur gleichen Zeit, nämlich im einzigen und ewigen Augenblick der Ewigkeit.

Deshalb der sechste Satz:

Im Tod versinkt alle Zeit. Deshalb erlebt der Mensch im Durchschreiten des Todes nicht nur seine Vollendung, sondern zugleich die Vollendung der Welt.

Den letzten Punkt hält Lohfink für den wichtigsten: Wenn das Neue Testament vom ewigen Leben spricht, von dem, was uns im Tod und am Ende der Welt geschieht, spricht es niemals nur von Gott, sondern immer auch von Jesus Christus. Unser Tod ist die große und endgültige Begegnung mit Christus, er wird zum Richter und Retter, er wird unseren armseligen Leib verwandeln in die Gestalt seines verklärten Leibes, er wird ewiges Leben zusprechen. Wir werden also Gott in Jesus Christus begegnen. In ihm wird Gott vor uns aufleuchten. In ihm werden wir Gottes Gericht und Gottes Erbarmen erfahren. Also mit einem Satz: Unsere endgültige Begegnung mit Gott geschieht in Jesus Christus.

In Jesus ist Gott letzte Gegenwärtigkeit in dieser Welt geworden. Wer ihn sieht, sieht den Vater. So sehr liebt Gott uns Menschen, dass wir Gott nicht anders als in dem Menschen Jesus begegnen werden, wir also für immer und ewig in dem Herzen eines Menschen Gott selbst finden.

(Text von Gustav Schädlich-Buter)