Stärker als der Tod - von G. Greshake

(Gisbert Greshake, Stärker als der Tod, Exzerpt und Zusammenfassung)

Der Theologe und Psychologe Gisbert Greshake, geb. 1933, geht den Fragen nach:

Was ist mit dem Tod? Was geschieht im Tod? Was darf nach dem Tod erhofft werden?

Erfahrungen des Todes

„Mitten im Leben sind wir vom Tod umfangen“. Das Kirchenlied drückt aus: der Tod umfängt unser Leben unablässig und stellt es damit radikal in Frage: Was bedeutet Leben? Was hat es für einen Sinn angesichts eines todsicheren Endes? Ist unser Mensch-sein nur ein kurzer, lichter Augenblick zwischen Noch-nicht-Sein und Wieder-zunichte-Werden? Ist Leben das Produkt eines Zufalls, das vergeht ähnlich dem Leben einer Eintagsfliege?

Unser Lebensvollzug ist vom Tod durchwirkt

Das Leben selbst ist immer schon ein Stück Sterben; in vielfacher Gestalt greift der Tod in unser Leben ein. Der Tod ist im Leben ständig präsent: Krankheit, Leid, Erfolglosigkeit, Altern, Pensionierung, das Lassen-müssen, Abschied-nehmen- all das sind nicht nur Zeichen und Vorboten des Todes, sondern Wirklichkeiten des Todes im Leben selbst.

Umgekehrt ist auch das Leben im Tod gegenwärtig;

der Tod führt das Leben zu seiner Vollendung, er bringt es zu seiner endgültigen Gestalt. Erst im Tod wird das Ganze des Lebens endgültig. Nur vom Tod her bekommt darum das Leben Endgültigkeit. Mehr noch: Von Tod her erhält es auch das Drängende und Unaufschiebbare. Wäre der Tod nicht, wäre das Leben gleich-gültig, beliebig, aufschiebbar. Der Philosoph Kaufmann schreibt dazu:

„Für die meisten von uns kommt der Tod nicht früh genug. Durch das Gefühl, der Tod sei fern und belanglos, werden Leben verdorben und faul...Man führt ein besseres Leben, wenn man ein Rendevous mit dem Tod ausgemacht hat. Nicht nur die Liebe kann tiefer, inniger und leidenschaftlicher werden, wenn man erwartet, bald zu sterben. Das ganze Leben wird dadurch bereichert.“

Der Tod macht das Leben als Geschenk und Gabe erfahrbar

In ihrem Roman Tous les hommes sont mortels (1946) lässt Simone de Beauvoir ihren Romanhelden Fosca durch ein Lebenselexier unsterblich werden. An ihm zeigt die Autorin, dass alle Lebensfreude, alle Erlebnismöglichkeit, alle soziale Verbundenheit und Verantwortung schwinden, wo der Tod das Leben nicht mehr begrenzt. Nichts hat mehr Gewicht; in einem solchen Leben bleibt alles unverbindlich, oberflächlich, ein stets widerrufbares Spiel.

Ein durch die Medizin verlängertes Leben wird nicht unbedingt erfüllter. Erst durch den Tod erfahren wir, dass das Leben nicht einfach selbstverständlich ist, sondern dass es ein Geschenk, eine Gabe ist. Leben und Tod durchdringen sich gegenseitig, gehören unausweichlich zusammen.

Der Tod als Strafe für die Sündhaftigkeit?

Umgekehrt hat die christliche Tradition den Tod als Feind des Lebens gesehen, der nicht aus Gottes Schöpferhand kommt, sondern eine Strafe sei, die aus der Sünde folge.

Durch die Sünde hat der Mensch sein Leben verkehrt. In seiner Selbstmächtigkeit empfängt der Mensch sein Leben nicht mehr als Geschenk Gottes, sondern vertraut seinen eigenmächtigen, selbstsüchtigen Möglichkeiten; vom Ende her erweist sich das oft als Verstrickung in die eigene Ohnmacht, als Anmaßung und Selbstüberschätzung. Das von Gott als dem Urquell abgeschnittene Leben erweist sich als „Sein zum Tode“, als eine Sphäre voller Unheils-und Todesmächte. Er wird zum Gehetzten und Ruhelosen, der sich an der Schöpfungsordnung vergreift. Schließlich endet alles friedlos Getriebene doch nur im Sinnlosen des Todes, der alles Streben nach Erfüllung als „sinnloses Sich-Ereifern“ (J.P.Sartre) enthüllt. Das, worin der Sünder meint, das Leben zu haben - nämlich Genuss, Reichtum, Erfolg und Macht-, kann ihn nicht über den Abgrund des Todes hinüberretten. Der Tod wird so zum dunklen, sinnwidrigen Abbruch des gehabten Lebens. Unter einem solchen Lebensvollzug (des Habens, Besitzens, Ergreifens ... statt Empfangens, Beschenktwerdens, Entgegennehmens ...) wird die nackte Existenz selbst zu einem Besitz, den es unter allen Umständen festzuhalten gilt. Gott vor dem man sich im Leben verschlossen hat, wird im Dunklen des Todes nicht mehr als lichtvolle Nähe erlebt, sondern als der abweisende, ja tote Gott. Der Tod bedeutet den bedrohlichen Abbruch des Lebens ohne die Sicherheit des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe, in das unendlich größere Leben Gottes hineinzusterben.

Der Tod in der Gestalt von „Bruder Tod“

Eine andere Gestalt des Todes zeigt sich dort, wo der Mensch ein Leben lang sich einübt, sein Leben in Gottes Hände zu legen, da wird der Tod zum „Bruder Tod“ (Franz von Assisi und zur „Pforte des besseren Lebens“, zum Übergang in Gottes Herrlichkeit. Diese neue Todeserfahrung ist eine Frucht des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe, dass der Tod nicht das Letzte ist.

Auferstehung des Leibes und/oder Unsterblichkeit der Seele

Unsterblichkeit der Seele und Auferweckung des Leibes sind ursprünglich zwei verschiedene Hoffnungsbilder, die eigentlich gar nichts miteinander zu tun haben.

Für die Griechen liegt das Prinzip, das den Tod überdauert, im Menschen selbst. Der Mensch hat eine Seele, die unsterblich ist und den Tod übersteht.

Für den Hebräer liegt das Kraut gegen den Tod in der erweckenden Macht Gottes.

Der Christ hofft nicht auf Grund einer unvergänglichen Seele, sonder er hofft auf die Auferstehung, d.h. auf die erweckende Macht Gottes.

Heute scheint jedoch der Glaube und die Hoffnung auf die Auferstehung ziemlich zurückgetreten. Das christliche Hoffnungsbild, das ursprünglich in der hebräisch-semitischen Welt zu Hause war, wurde von den stark nihilistischen und skeptischen Tendenzen des platonischen Hoffnungsbildes von der Heimkehr der unsterblichen Seele überlagert. In dieser Auffassung wird nicht der Mensch als ganzer, sondern nur ein Teil des Menschen, eben die Seele ernstgenommen, nur sie hat Zukunft und findet Vollendung.

Die christliche Auferstehungshoffnung

Greshake geht nun aber der Frage nach, was bedeutet eigentlich die christliche Rede von der Auferstehung des Fleisches?

Ist damit gemeint, dass am Ende der Geschichte die menschlichen Überreste, Knochen, Sehnen und Muskeln, von Gott wieder neu belebt werden, dass sich die Gräber öffnen, dass ein neuer Leib entsteht und dieser Leib der Seele, die schon bei Gott im Himmel ist, gleichsam hinzugegeben wird? Was soll die Rede von der Neubelebung der vermoderten Knochen? Nein!

Der ursprüngliche Sinn der Hoffnung auf Auferstehung des Fleisches liegt darin, zu behaupten, nicht aus eigener Kraft auf Grund der unsterblichen Seele kommt der Mensch zu Vollendung, sondern auf Grund der Tat Gottes, die ihm gleichsam von außen geschenkt wird.

Und: nicht die leiblose Seele wandert aus der Welt aus, um Heimat bei Gott zu finden, sondern der ganze Mensch mit all seinem Tun und Lassen darf Hoffnung auf Vollendung haben.

Gott liebt, wie W. Breuning sagt, einen Leib, der gezeichnet ist, von der ganzen Mühsal, von der rastlosen Sehnsucht einer Pilgerschaft, der Lauf dieser Pilgerschaft viele Spuren hinterlassen hat, die durch diese Spuren menschlich geworden ist ... . Auferweckung des Leibes heißt, dass der Mensch bei Gott nicht nur seinen letzten Augenblick wiederfindet, sondern seine Geschichte.

Das Modell von Ladislaus Boros

Um das, was mit Auferweckung besser als die Tradition begreiflich zu machen, greift Greshake ein Modell von Ladislaus Boros auf:

die evolutive Welt ist durch zwei gegenläufige Prozesse gekennzeichnet:

  1. die Bewegung des Aufstiegs und der Selbstüberbietung; aus einem „weniger“ wird „mehr“.
  2. durch die umgekehrte Bewegung der Entropie, die Bewegung des Abstiegs, des Energieverschleißes, des Verbrauchs, der Verengung.

Auch der Mensch verbraucht sich in seinem Leben und steigt dabei auf zur reifen Person. Der Mensch wird reif an der Welt, an ihrer aktiven Gestaltung und im passiven Leiden an ihr. So verinnerlicht sich Welt im Menschen.

Der Mensch wird nicht nur reif, sondern er wird auch alt, er stirbt; seine äußere Energie wird aufgebraucht (Entropie). Ansteigende Verinnerlichung der Welt und zunehmender Verbrauch an äußerer Energie sind dialektisch miteinander verknüpft.

Im Tod erleidet der Mensch den Verlust an äußerer Energie, in diesem Moment ist aber zugleich seine Welt, die Welt an der er reif geworden ist, in ihm total verinnerlicht. Das neue Leben gilt also nicht nur einer bloßen Seele, sondern einer ganzheitlichen, konkreten Person, die so geworden ist wie sie ist, durch ihr Umgehen mit der Welt, durch ihr leibhaftiges Leben in der Welt. Der Mensch bringt in seinen Tod die „Ernte der Zeit“ ein. Leib, Welt und Geschichte werden im Tod nicht abgestreift. Deshalb Auferstehung des ganzen Menschen und nicht nur Unzerstörbarkeit der Seele.

Auferstehung des Leibes heißt nicht Auferstehung des Körpers oder des Leichnams, sondern dass im Tod der ganze Mensch mit seiner konkreten Welt und Geschichte von Gott neue Zukunft erhält.

Die Auferstehung ist letztlich nichts Individuelles, sondern sie steht in einem universalen Prozess, wobei der Verstorbene der weiterlaufenden Geschichte aufs engste verbunden bleibt und an ihrer Vollendung mitwirkt.:

„Die geschaffene Gesamtwirklichkeit, die Welt, wächst in und durch die leibgeistigen Personen, deren Leib sie gewissermaßen ist, durch deren Tod in ihre eigene Endgültigkeit hinein.“ (K. Rahner)

Das Reifwerden in der Liebe gelingt bestenfalls bruchstückhaft. Spätestens der Tod zeigt, dass wir aus uns heraus das Leben nicht vollenden und zur erfüllten Sinngestalt bringen können. Die Vollendung ist und bleibt ein unverfügbares Geschenk Gottes, das eines Gefäßes bedarf und dazu alles in der Geschichte Gelungene voraussetzt und zur Erfüllung bringt.

Tod als letzte Entscheidung?

Greshake hält die Boros Hypothese von der Endentscheidung im Tod, die besagt, das der Mensch im Tod eine freie, personale, das ganze Leben zusammenfassende Entscheidung für oder gegen Gott fällt, für falsch.

Denn hier wird nicht nur etwas behauptet, was sich unserer Erfahrung vollständig entzieht,, sondern weil sie die Möglichkeit einer Freiheitsentscheidung annimmt, die den Bedingungen der geschichtlichen Existenz entnommen ist. Der Tod wird zur entscheidenden Lebenstat hochstilisiert, während die Lebensgeschichte in ihrem Gewicht zurücktritt. Weiterhin findet der Mensch seine Identität (die Sinngestalt seines Lebens) nie kraft seiner Freiheit, sondern im Beschenktwerden durch Gott.

Das Heil aller Menschen hängt nicht an einer Hypothese, sondern an der eindeutigen Zusage des Evangeliums, dass das Heil Gottes freie Gnade ist und selbst die Arbeiter der letzten Stunde ihren Lohn empfangen werden.

Nicht im Tod, sondern im Leben soll der Mensch in der Liebe heranreifen, damit er zu einem Gefäß wird, das fähig ist die Verheißungen Gottes aufzunehmen.

Himmel und Hölle

Der Himmel ist vollendete Liebe und Kommunikation. Das bedeutet: Er ist wesentlich eine soziale Größe, kein privates tete–a-tete des Menschen mit Gott. Schon die alttestamentlichen Propheten und die Geheime Offenbarung sehen den Himmel unter dem Bild der Gottesstadt, also einer gesellschaftlichen Größe. Der Himmel entwirft sich jetzt schon vorweg, er beginnt jetzt schon, baut sich jetzt schon allmählich auf, und zwar da, wo Liebe ist und wo in Liebe gelebt wird.

Umgekehrt: Wo der Mensch nur bei sich bleibt, wo er in seinem Egoismus erstickt, wo er die anderen abweist,, da zerstört menschliches Leben sich jetzt schon, da beginnt jetzt schon, was die Tradition Hölle nennt. Pervertiere und zum Missbrauch offene Höllenvorstellungen sind abzulehnen. Zugleich ist die Hölle ein biblisches Thema: die Hölle ist der dunkle Kontrapunkt zu Jesu Ruf zur Umkehr. Die Rede von der Hölle hat performativen (nicht informativen) Charakter und stellt den Menschen vor den Ernst und die Radikalität seiner (Glaubens-) Entscheidungen; es geht um den Ernst der Verantwortung in der gegenwärtigen Stunde. Die reale Möglichkeit eines endgültigen Scheiterns menschlichen Lebens, scheint der unaufgebbare Kern (laut Greshake) an der offiziellen kirchlichen Lehre von der Hölle.

Hölle ist die äußerste Verlängerung des jetzt schon erfahrbaren Sachverhalts, dass ein Mensch, der nicht liebt, ein Mensch, der die Transzendenz verweigert, der es ablehnt aus sich heraus zu gehen und nur in einer animalischen Immanenz lebt, sich in einer höllischen Monsterhaftigkeit bestätigt.

Aber: damit der Mensch kein Ungeheuer wird und bleibt, hat Gott- wie Paulus es formuliert - seinen eigenen Sohn für uns alle hingegeben. (Röm.8,32) Darum dürfen wir hoffen, dass Gottes Gnade und Liebe die Verwirklichung der realen Möglichkeit der Hölle verhindert und dass alle die Vollendung ihres Lebens bei Gott erreichen werden. Die solidarische Hoffnung, die wir für die anderen haben, die Hoffnung, dass alle gerettet werden, die Sorge über das hundertste verlorene Schaf, solche Hoffnung ist gleichsam Zeichen und Mittel, dass wirklich keiner verloren geht. Solche universale Hoffnung ist in Jesus Christus begründet, in seinem betenden Eintreten beim Vater für uns alle.

Fegefeuer

Wenn wir nach unserem Tod vor die Heiligkeit Gottes, vor die Erfahrung seiner Liebe gestellt sind, werden wir unserer Unheiligkeit, Dunkelheit, Lieblosigkeit, Hinfälligkeit und Sündhaftigkeit bis in die letzten Tiefen unseres Inneren voll bewusst. Auch der Mensch, der umkehrt, macht die Erstarrungen und Rückstände seiner Sünde nicht einfach rückgängig, muss zugeben, dass er immer weit hinter dem zurückbleibt, der er sein könnte. So können wir ahnen, dass die Gottesbegegnung im Tod, das Gestelltsein vor Gottes Gericht, worin der Mensch, wenn er auf sich sieht, nicht bestehen kann, ein brennendes Feuer ist, das ihn schmerzvoll erfasst und ihn läutert

Das Fegefeuer ist also keine halbe Hölle, sondern die Begegnung des in der Liebe unfertigen und unreifen Menschen mit dem heiligen, unendlichen und liebenden Gott, die schmerzhaft und läuternd ist.

(Text von Gustav Schädlich-Buter)