Gnade

"Durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin ..." (1 Kor 15, 10), diese Sätze des Apostels Paulus sprechen heute den wenigsten Zeitgenossen aus dem Herzen.

Denn der moderne Mensch ist von einem Lebens- und Selbstverständnis geprägt, das sich der eigenen Leistung, der eigenen Kraft und der eigenen Sinnstiftung verdankt: „Ich bin, was ich leiste“, „Ich bin, was ich mir verdient habe“ ... Für nicht wenige aber ist die von der Gesellschaft geforderte Lebensleitung inzwischen zum Fluch geworden: „Es ist zuviel - einfach zuviel!“, sagt mancher. Der moderne Stress beschleunigt uns, treibt uns an und führt dazu, dass wir nie ganz leben, nie im „Jetzt“ zu Hause sind. Wir haben verlernt, was es heißt, aus der Gnade - gratis - zu leben. Oft genug findet die Gnade keinen Raum in uns. Wir wollen uns nichts schenken lassen. Ein Gott, der aus Nichts und für nichts liebt und bejaht - unbedingt, umsonst, grundlos - ist uns suspekt. Unsere Welt ist doch so anders. Wir sind gewohnt für Leistung etwas zu bekommen, unser Ansehen zu verdienen und Geschenke „heim“- zu-zahlen. Aber Gott fordert keine Gegenleistung dafür, dass er mir das Leben geschenkt hat.

Es gibt anscheinend in uns Menschen ein tiefgreifendes Misstrauen vor einem Geschenk, das wir nicht verdient haben, eine tiefsitzende Angst vor einer Liebe ohne Bedingungen und eine fast spontane Abwehr gegenüber einem Leben der Gnade.

Was bedeutet der Begriff Gnade überhaupt?

Das Wort Gnade - griechisch charis, lateinisch gratia, althochdeutsch ganada - bedeutet Wohlwollen, Gunst, Huld; es bezeichnet alles, was nicht machbar und erleistbar ist: Anmut, Schönheit, Dankbarkeit, Liebenswürdigkeit ... Ein Blick auf die Schöpfung kann uns diese Wahrheit verdeutlichen. Das ganze Weltall ist Gnade: seine Anmut und seine Großartigkeit kann und braucht nicht verdient zu werden. Grundlos aufblühende Schönheit und Anmut in jeder Blume, ihr Duft, der mich entzückt, grundlos ausgedrückte Freude im Gesang der Vögel, ... eine Fülle des Lebens ohne Warum, ohne Zweck, rein aus Gnade, einfach da.

In der Bergpredigt empfiehlt Jesus das Glück des Daseins von den Vögeln und den Blumen zu lernen. Vieles wird mir geschenkt, die liebevolle Begegnung, die glückliche Fügung, die Inspiration, die mehr ist als meine Gehirnleistung, der Trost, wenn ich traurig bin, …ich mir selbst sowieso, ich habe mich ja nicht selbst erschaffen. Ich bin ein Geschenk an die Welt. All das ist Gnade, es ist die Erfahrung in der Dimension der Liebe zu leben. Bernardin Schellenberger erinnert daran:

„Ich bin nicht für irgendetwas da
sondern ich bin ganz einfach da,
um meiner selbst willen.
Weil es meinem Schöpfer gefallen hat,
mich zu schaffen,
ausgerechnet mich,
genau so, wie ich bin ...
Ich bin,
weil Gott will, dass ich bin.
Aus keinem anderen Grund."

Impulse

  • Habe ich in meinem Leben noch zweckfreie Spiel-Räume?
  • Schenken Sie sich einen Tag, an dem sie nichts leisten muss und einfach geschehen lasse, was geschieht.

Literatur

  • B. Schellenberger, Einübung ins Spielen, Münsterschwarzach 1980

(Text von Gustav Schädlich-Buter)