Gottes Kraft

Nach einer schweren Krankheitsphase sagte mir ein Patient: „Als ich so da lag, wurde mir klar, dass ich mein bisheriges Schaffen ,meine Lebensleistung und mein jetziger Überleben nicht meiner eigenen Kraft verdanke; dass alle Kraft dafür, mir von einem "anderen" zur Verfügung gestellt wurde; und das ganz umsonst. „Der“ wollte keine „Gegengeschäft“ mit mir machen, „Er“ hat mir diese Kraft zur freien Verfügung gegeben und ich hatte mein Leben lang gedacht, was für ein Kerl ich bin. Ich habe gar nicht gemerkt, dass mir alles geschenkt worden ist.“

Offensichtlich bringt uns das Leben - bisweilen auch oder gerade durch Grenzerfahrungen - zur Einsicht, dass die Kraft nicht von uns selbst, sondern von Gott kommt. Unverdient zur Verfügung gestellte, frei und gratis übergebene Kraft, die meiner Freiheit anheim gegeben wird.

Die vom Patienten erfahrene Kraft - österliche Kraft - fällt nicht zusammen mit der eigenen biovitalen Lebensfülle. Es ist eine Kraft, die unverdient hinzukommt. Das Spüren und Erfahren jener Kraft ist zunächst durchaus schmerzhaft, weil es mit dem eigenen Imponiergehabe, den eigenen Größenphantasien und Machtgelüsten konfrontiert. Schmerzhaft auch insofern, als ein „Zurecht-rücken“ geschieht, bei dem der Unterschied zwischen Gott und Mensch, Schöpfer und Geschöpf wieder klare Konturen bekommt. Das damit begründete neues Selbst- und Gottverhältnis hat aber auch befreiende Wirkung: ich bin nicht mehr gezwungen, mich einem selbstzerstörerischen und krampfhaften Leistungsbewusstsein zu unterwerfen. Ich darf seiner Kraft in mir, seiner Kraft in meiner Kraft vertrauen. Ich kann die heute gängige Machermentalität abwerfen und Stück für Stück freier werden gegenüber den vielfältigen Fremdansprüchen von außen, aber auch jenen, die aus meinem Inneren kommen. Ich überlasse mich und erhalte gratis Kraft zur schöpferischen Gestaltung, aber auch Kraft zum Widerstand oder zum Erdulden und Aushalten. „Alles vermag ich durch ihn, der mir Kraft gibt.“ (Phil.4,13)

Gottes Kraft lässt sich nicht in Verwaltung nehmen, planen, organisieren und nach Bedarf lenken, sie fällt manchmal unvermutet in unser Leben hinein und alles kommt darauf an, ihrer Wirkung Raum zu geben.

Dazu muss aber unser Ego, das sich wichtig nimmt, überall vorne dran sein will, sich aufbläht und eitel gebärdet, besitzen und kontrollieren will, in seine Grenzen verwiesen werden.

Auch unsere Ängste, die mit unseren egoistischen Strebungen verknüpft sind, machen den Raum der Seele klein, in dem sich Gottes Kraft will. Dieses süchtige und anhängliche „Ich“ (Kontroll-Ich, Macht-Ich, Besitz-Ich, Geltungs-Ich, ...) wehrt sich meist heftig gegen vom Leben aufgedrängte Wandlungsprozesse und reagiert darauf oft genug mit Bitterkeit, Wut, oder Zynismus dem Leben gegenüber.

Wenn seelische Räume zugestellt und versperrt sind, hat es Gottes Kraft und Barmherzigkeit schwer, zu uns vorzudringen und zu wirken. Leere, Armut und Ohnmacht aber, so sagen die Seligpreisungen, ziehen Gottes Gegenwart an.

Leerwerden für Gott und sich vom Ego befreien , will auch im Alltag eingeübt sein.

Impulse

  • In der Leitungsfunktion verzichte ich für die Dauer des Leitens, auf meine eigenen und persönlichen Pläne, Ziele, Ideen und deren Durchsetzung.
  • In der zwischenmenschlichen Begegnung: die kurze Zeit, die ich einem Menschen heute schenke, will ich ihm wirklich hundertprozentig schenken, ganz bei ihm sein, ihm meine volle Aufmerksamkeit zur Verfügung stellen.
  • Ich begebe mich in die Haltung der Dienstbereitschaft (in meiner Familie, meinem Team, für Notleidende und verzichte für eine Zeit auf eigene Macht- und Herrschaftsansprüche.
  • Ein weitere Möglichkeit, leeren Raum zu schaffen, besteht darin, auf ständiges Denken, Urteilen und Verurteilen zu verzichten; stattdessen gilt es einfach "wahr" zu nehmen, was ist.
  • Und gerade im Gebet ist es wichtig, sich möglichst vorbehaltlos und bedingungslos Gottes barmherziger Gegenwart zu überlassen und kein "Geschäft" mit ihm machen zu wollen.

Literatur

  • Franz Jalics, Kontemplative Exerzitien, Eine Einführung in die kontemplative Lebenshaltung und in das Jesusgebet, 2009

(Text von Gustav Schädlich-Buter)