Ewiges Leben - Hans Küng

(Hans Küng: Buch:: Ewiges Leben München 1984, Piper Verlag , Exzerpt und Zusammenfassung zum privaten Gebrauch)

Küng geht der Frage nach: was kommt im Tod, was kommt nach dem Tod? Ewiges Leben? Was ist das anderes als eine Wunschprojektion (Feuerbach), eine Vertröstung für die Unterdrückten (Marx, ein Verleugnen der ewigen Wiederkehr des Gleichen (Nietzsche), eine unrealistische Regression des psychisch Unreifen (Freud)?

Glauben Sie an ein Leben nach dem Tod?

Die Existenzphilosophen wie Jean Paul Sartre beantworteten sie negativ, Heidegger hielt die Frage offen, Karl Jaspers bejahte sie bedingt, Neomarxisten wie M. Horckheimer bekennen sich offen zur Sehnsucht nach dem ganz Anderen; Ernst Bloch blieb bis zum Ende ungeheuer neugierig auf das große Vielleicht.

Und so spricht es sich in einer Welt des Positivismus und Materialismus langsam herum, dass die Frage nach dem ewigen Leben nicht mit Formeln wie „Wunschdenken“, „Opium“, „Ressentiment“, „Illusion“ abgetan werden können. Sie scheinen das immer wieder aufbrechende Hoffnungspotential nicht erschöpfen zu können.

Ewiges Leben und die Medizin unvereinbar?

Küng weist weiter darauf hin, dass seit dem 19. Jahrhundert mit den beeindruckenden Erfolgen der streng empirisch-naturwissenschaftlich arbeitenden Medizin, auch in Deutschland nach dem Materialismusstreit bald klar war: Glaubensüberzeugungen haben in naturwissenschaftlich-medizinischen Fragen nichts zu suchen; der mechanisch-naturgesetzliche Zusammenhang ist ohne philosophisch-theologische Vorbehalte bis ins letzte zu erforschen. Bewusstseinstätigkeit ohne Gehirntätigkeit, eine dem Leib selbstständig gegenüberstehende Seele gibt es nicht; in der Medizin hat man von quantitativen Messungen auszugehen. Religion und Glaube hat mit Wissenschaft nichts zu tun und ist bestenfalls Privatsache.

Nun zeichnet sich aber schon seit längerem, bedingt durch die Verirrungen der Ärzte im Nationalsozialismus, aber auch durch die Krise des Wissenschaftsglaubens in der Medizin, eine Neuorientierung zum Patienten als ganzem Menschen ab, zum Ethos und indirekt auch zur religiösen Frage. Gerade das Todesproblem- in der Geschichte der Medizin weitgehend tabuisiert, erlebt heute unter Ärzten eine verstärkte wissenschaftliche Aufmerksamkeit.

Erfahrungen mit Sterbenden und Nahtoderlebnisse (Autoren wie Kübler-Ross; R. A. Moody/Eckart Wiesenhüter)

Weltweites Aufsehen erregte das Buch von Kübler-Ross „Interviews mit Sterbenden (Org.: On Death and Dying). In diesem Buch mit den Geschichte von über 2000 todkranken Patienten und ihren Kämpfen, Erwartungen und Enttäuschungen, lehrt die Autorin, mehrere, wenngleich nicht klar abgrenzbare und sich oft überlappende Stadien auf dem Weg zum Tod zu unterscheiden:

  • Phase 1: Nichtwahrhabenwollen und Isolation
  • Phase 2: Zorn, Ärger, Groll und Neid (auf Pflegepersonal, Angehörige, ...)
  • Phase 3: das Verhandeln, welchem oft rasch folgt
  • Phase 4: die Depression
  • Phase 5: die endgültige Hinnahme, Zustimmung und Ergebung (mit oder ohne fremde Hilfe) Diese Phase sei ein Hinweis auf den unmittelbar bevorstehenden Tod. Der Patient reagiert auf ein inneres Signalsystem, das ihm das Nahen seines Todes meldet.

In seinem Bestseller „Life after Life“ (Leben nach dem Tod) berichtet der amerikanische Psychiater Raymond A. Moody von Menschen, die klinisch tot waren, dann aber weitergelebt haben und von ihren Erfahrungen berichten konnten. Berichte, die bei allen individuellen Unterschieden in zahlreichen wichtigen Elementen übereinstimmen.

Die Sterbeerfahrungen sehen unter anderem so aus, dass der Sterbende hört wie der Arzt ihn für tot erklärt, wie er das Gefühl hat sich durch einen langen dunklen Gang zu bewegen und er hernach außerhalb seines Körpers diesen und die Umgebung von außen betrachtet; andere Wesen nähern sich dem Sterbenden, um ihn zu begrüßen und er erblickt die Geistwesen bereits verstorbener verwandter und Freunde, und ein Liebe und Wärme ausstrahlendes Wesen wie er es noch nie gesehen hat, erscheint vor ihm. Dieses Wesen richtet eine Frage ohne Worte an ihn, sein Leben als Ganzes zu bewerten, und hilft ihm dabei, indem er die Stationen seines Lebens blitzschnell an ihm vorüberziehen lässt. Dann scheint es dem Sterbenden, dass er sich einer Grenze nähert zwischen dem irdischen und jenseitigen Leben, doch wird ihm klar, dass er zur Erde zurückkehren muss, da der Zeitpunkt seines Todes noch nicht gekommen ist. Trotz seines inneren Widerstandes vereinigt er sich dennoch wieder mit seinem physischen Körper und lebt weiter.

Der Psychiatrieprofessor Eckart Wiesenhütter hat unter dem Titel „Blick nach drüben“ Selbsterfahrungen im Sterben gesammelt und Fälle von Ertrunkenen, Erfrorenen, Abgestürzten gesammelt, die wiederbelebt wurden; diese Fälle erwiesen alle erstaunliche Ähnlichkeiten auf. Im Zusammenhang mit zwei selbst erlebten Lungeninfarkten beschreibt er nach dem Durchgang durch Schmerz und Todesangst, die Auflösung dieser Empfindungen, auch des Zeit und Gegenstanderlebens und ein damit verbundenes Befreiungs- und Glücksgefühl.

Noch einmal die von den Medizinern beschriebenen Phänomene zusammenfassend: out-of–body-Erlebnis, die Entfernung vom eigenen Körper, ein Abspalten des Bewusstseins, schwereloses Schweben, ein Überblicken der Sterbesituation, jenes geraffte Wiederholen von Lebensdaten samt Schuldgefühlen, starke Farb- und Lichterlebnisse, Begegnung mit Verstorbenen, Erscheinung von Lichtgestalten ... .

Küng warnt davor die von ihm sehr wohl als seriös eingeschätzten medizinischen Ergebnisse gleich theologisch zu vereinnahmen als Beweis für ein Leben nach dem Leben, für ein ewiges Leben. Alle Sterbephänomene lassen sich möglicherweise naturwissenschaftlich-medizinisch erklären. So lässt sich z.B. nach neuesten Forschungen nicht ausschließen, dass die euphorischen Gefühle vieler Sterbender die Folge einer Abwehrreaktion von Psyche und Körper darstellen.(Erregungen des zentralen Nervensystems)

Was heißt eigentlich Tod? Wie definiert man Tod?

Er lässt sich einfach umschreiben als unwiderruflicher Stillstand aller Lebensfunktionen.

Wie aber stellt man dies fest?

Früher meinte man am fehlenden Herzschlag und der fehlenden Atemtätigkeit den Tod eines Menschen feststellen zu können. Heute sind genauere Todesfeststellungen möglich: mit Elektroenzephalogramm, das bei einer völlig flachen EEG-Kurve (Null-Linien EEG) das Aufhören jeglicher Hirnstromaktivität und damit den Tod anzeigt. Aber selbst Elektroenzephalogramm als tot angezeigte Menschen sind schon wiederbelebt worden.

Der Tod tritt also nicht notwendigerweise auf einen Schlag ein, sondern kann sukzessive erfolgen; die Lebensfunktionen können in den verschiedenen Organen zeitversetzt erlöschen:

Organtod/Partialtod, Gehirntod und schließlich der Tod des gesamten Organismus.

Es gilt die Unterscheidung zu treffen zwischen klinischem Tod und biologischem Tod:

Unter klinischem Tod verstehen wir jenen Zustand, in welchem das Aussetzen der Atmung, der Herztätigkeit und der Gehirnreaktion festgestellt wurde, in welchem jedoch eine Wiederbelebung (Zeitspanne: 5 Minuten; in Extremfällen bis zu 30 Minuten) nicht völlig ausgeschlossen ist.

Unter biologischem Tod verstehen wir demnach jenen Zustand, in welchem Zumindest das Gehirn seine Funktionen unwiderruflich verloren hat und nicht mehr wiederbelebbar ist. Der biologische Tod ist der endgültige Tod: irreversible Verlust der Lebensfunktionen und Untergang aller Organe und Gewebe.

Die Anwendung dieser Definition auf Moodys Buch macht schlagartig klar: Von den 150 untersuchten Sterbenden ist kein einziger wirklich gestorben. Die untersuchten Todkranken haben vielleicht das Sterben erfahren, aber sicherlich nicht den Tod. Todesnäheerlebnisse sind keine Erlebnisse des Todes.

Solche Sterbeerlebnisse besagen und beweisen also für ein Leben nach dem Tod letztlich nichts.

Diesen Forschern sind jedoch drei entscheidende Einsichten zu verdanken:

  1. Die Frage nach dem ewigen Leben ist heute auch für Mediziner als Mediziner eine offene Frage
  2. Sterbeerfahrungen und Lebenserfahrungen scheinen in einem inneren Zusammenhang zu stehen
  3. Die positiven Sterbeerlebnisse machen Hoffnung, dass das Sterben doch nicht so angstbesetzt verläuft wie angenommen.

Ewiges Leben philosophisch betrachtet

Glaube gerade hinsichtlich der letzten Dinge muss kommunizierbar bleiben, dialogfähig, soll das Gespräch über Tod, Weiterleben oder neues Leben geführt werde.

Bedeutet das, dass ein Leben nach dem Tod beweisbar sei? Immer wieder versuchten Philosophen vor allem in der Nachfolge Platons Beweise für die Unsterblichkeit der Seele zu führen.

Für Plato ist die Seele Prinzip des Lebens und schon von daher unsterblich. Wesensverwandt mit den ewigen geistigen Ideen des Wahren, Guten und Schönen; sie ist nicht wie der Körper, deren Gefängnis, sichtbar, materiell und zusammengesetzt, sondern einfach, geistlich, göttlich, so dass sie sich gar nicht auflösen kann. Durch den Tod wird diese freie Geistseele aus dem Lein, ihrem Gefängnis und Grab, wieder befreit, durch Wiedergeburten geläutert und kann sich schließlich mit dem Göttlichen wiedervereinigen.

Die philosophischen Gedankengänge hielten sich variiert über Jahrhunderte.

Aristoteles nahm die Unsterblichkeit der Seele nur noch für die überindividuelle Weltseele an; die Neuplatoniker und Augustin wiederum folgten Platon; andere mittelalterliche arabische Philosophen dagegen folgten Aristoteles. Die großen christlichen Denker des Mittelalters Albert und Thomas, obwohl Aristoteliker, wie denn auch die großen Philosophen der Neuzeit bis hin zur Aufklärung, Descartes, Leibniz, Wolff, folgten allesamt wieder der Linie Platons und versuchten, eine Unsterblichkeit der Seele philosophisch zu begründen.

Kant schließlich destruierte die Beweise für die Unsterblichkeit der Seele (wie für die Existenz Gottes überhaupt) in der „Kritik der reinen Vernunft“(1781) Unsere Vernunft, an den Horizont unserer raum-zeitlichen Erfahrung gebunden, kann keinen überzeugenden Beweis liefern für das, was jenseits dieses Erfahrungshorizontes liegt.

Kant ließ den Glauben an die Unsterblichkeit der Seele als Postulat der praktischen Vernunft bestehen. Zusammen mit der Freiheit des Willens und der Existenz Gottes bildet die Unsterblichkeit der Seele die Voraussetzung für ein unbedingtes ethisches Handeln des Menschen.

Doch Küng hält fest: Der Glaube an das ewige Leben muss bewahrheitet werden und zwar in Rekurs auf die menschliche Erfahrung; es geht also um eine erfahrungsbezogene Erkenntnis des ewigen Lebens.

Ewiges Leben kann nur in einem in der Wirklichkeit frei begründeten Vertrauen angenommen werden. In einem von der Vernunft verantworteten und deshalb durchaus vernünftigen Vertrauen. Solches Vertrauen verfügt über keine zwingenden rationalen Beweise, wohl aber über einladende vernünftige Gründe. Der Ewigkeitsglaube beinhaltet ein Wagnis und Risiko. Eine Entscheidung ist unumgänglich.

Der Glaube an die Auferweckung von den Toten

Juden und Christen glauben an die Auferweckung von den Toten, weil der lebendige Gott der unerschütterlich treue Gott ist und sein Ja zum Leben nicht zurücknimmt: Treue im Tod über den Tod hinaus.

Was nun aber die Juden für alle Menschen in der Zukunft erwarten, das ist für Christen in Jesus Christus als Zeichen und Hoffnung für alle bereits eingetreten. Für Paulus ist klar: weil dieser eine lebt und von Gott her eine solch einzigartige Bedeutung für alle hat, werden alle leben, die sich vertrauend auf ihn einlassen. Jesus ist der Erstgeborene aus den Toten.

Wie muss man sich die Auferweckung vorstellen? Antwort: überhaupt nicht.

Auferweckung und Auferstehung sind bildhafte Termini übernommen vom Aufwecken und Aufstehen aus dem Schlaf. Bei der Auferweckung vom Tod allerdings geht es um eine radikale Verwandlung in einen völlig anderen, unerhört neuen, endgültigen Zustand: das ewige Leben, etwas „was keines Menschenauge gesehen und kein Ohr gehört hat.“ Das neue Leben bleibt für uns erhoffbar, doch völlig unanschaulich und unvorstellbar.

Unsere Sprache stößt hier an Grenzen. Paulus verwendet paradoxe Chiffren: unvergänglicher Geistleib, ein Leib der Herrlichkeit, der durch die radikale „Verwandlung“ aus dem vergänglichen Fleischesleib hervorgegangen ist. Dabei spricht christlicher Glaube nicht von der Unsterblichkeit der Seele, sondern vom Menschen in seiner Ganzheit seiner leib-seelischen Existenz; es geht um die ganze Person als durch Gottes Berufung begründete lebendige Einheit leiblich-geistigen Seins.

Biblisches und heutiges anthropologisches Denken konvergiert in der heutigen Auffassung vom Menschen als leib-seelischer Einheit. Wenn das neue Testament von Auferweckung spricht, dann nicht in der natürlichen Fortdauer einer unabhängigen Geist-Seele, sondern auf der Linie jüdischer Theologie: die Neuschaffung, Verwandlung des ganzen Menschen durch Gottes lebensschaffenden Geist. Ostern ist nicht ein Fest der Unsterblichkeit, sondern ein Christusfest, das Fest des verherrlichten Gekreuzigten.

Leib ist nicht der jeweilige physiologische Körper, sondern zu verstehen als die identische personale Wirklichkeit, dasselbe Ich mit seiner ganzen Geschichte, das in der buddhistischen Reinkarnationslehre zu Unrecht vernachlässigt wird.

Auferweckung heute

Küng weist daraufhin, dass es nicht nur den Tod am Ende des Lebens gibt, sondern den mitten im Leben. Es ist der Tod der Beziehungslosigkeit von Menschen, , der Tod der Ohnmacht und der Sprachlosigkeit, der Tod der Anonymität und Apathie, der Tod der Verkümmerung und geistigen Verkrüppelung, der Tod der Betäubung und des Konsums.

An die Auferweckung glauben, heißt deshalb nicht ein billiger Optimismus in Hoffnung auf ein Happy End betreiben, sondern in der Welt ganz praktisch bezeugen, dass in dieser Welt des Todes , mit Jesu die universale Herrschaft des Todes zerbrochen wurde, dass seine Freiheit sich durchsetzt, dass sein und damit Gottes Geist am Wirken ist.

Wie Küng bemüht sich auch Dorothea Sölle immer wieder um die Entschlüsselung des Auferweckungsthemas für die Situation in unserer Welt. Wir müssen Worte wie Auferstehung, Leben aus dem Tod, Gerechtigkeit wieder in Besitz nehmen und sie an unserer eigenen Erfahrung als wahr erkennen.

Küng verweist bezüglich der Auferweckungshoffnung als Protest gegen den Tod auf Kurt Martis Gedicht:

Das könnte manchen herren so passen/
wenn mit dem tode alles beglichen
die herrschaft der herren/die knechtschaft der knechte/
bestätigt wäre für immer/
das könnte manchen herren so passen/
wenn sie in ewigkeit herren bleiben im teuren privatgrab/
und ihre knechte/knechte in billigen reihengräbern
aber es kommt eine auferstehung/
die ganz anders wird als wir dachten
es kommt eine auferstehung die ist/
der aufstand gottes gegen die herren
und den herrn aller herren: den tod

(Text von Gustav Schädlich-Buter)