Inventur

„Der, der ich bin, grüßt traurig den, der ich sein könnte“, dieser Satz aus einem Gedicht von Friedrich Hebbel kommt uns zuweilen auch in den Sinn, wenn wir in den Spiegel schauen und dabei unser Blick hinunter in die Tiefe der Seele rutscht: Unerfüllte Träume, Vorhaben, die nicht gelungen sind, gescheiterte Beziehungen, Verletzungen, die wir anderen zugefügt haben, Situationen, wo wir uns verraten haben ... Und manchmal geht es uns dann wie Adam in der Schöpfungsgeschichte (vgl. Genesis 3, 9), der sich angesichts der Fehler und Fehlschläge seines Lebens armselig und nackt vorkommt und sich schamvoll versteckt.

Und trotzdem findet ihn die Frage: „Adam, wo bist du?“

Die Frage ist nicht örtlich gemeint und es handelt sich um keine Geschichte aus ferner Vergangenheit, sondern um eine direkte Frage an uns jetzt: Wo stehe ich jetzt? Wo und wer bin ich? Wo sind meine Wurzeln? Was ist aus mir und meinem Leben geworden? Was habe ich aus meinem Leben gemacht? Wohin geht mein Leben noch?

Letztlich helfen auf diese grundlegende Standortbestimmungsfrage, weder in der Geschichte des Buches Genesis, die im Alten Testament aufgeschrieben ist, noch im richtigen Leben Ausflüchte und Ausredemanöver wie Eva sei an der Misere Schuld oder die Schlange oder die Eltern ... ; sondern ich komme nur weiter, wenn ich ganz ehrlich zu mir selbst bin, wenn ich eine Bestandsaufnahme ohne Schönfärberei meines eigenen Lebens wage und wenn ich Verantwortung dafür übernehme. Es geht um die Inventur meines gelebten Lebens.

Dabei darf ich durchaus barmherzig zu mir selbst sein, wenn ich mein Leben und mein Gewordensein samt aller Fehler und Brüche anschaue, auch wenn ich mir womöglich manches anders gewünscht hätte.

Impuls

Vielleicht hilft Ihnen folgende Übung:

Suchen Sie einen ruhigen Ort (am besten in der freien Natur oder einer Kirche), und lassen Sie folgende Fragen auf sich wirken:

  • „Was ist meine tiefste Sehnsucht?“
  • „Was ist mir das Allerliebste, das Allerbeste?“
  • „Ohne was könnte ich nicht leben?“
  • Was lässt mich fast verzweifeln?“
  • Was sind meine tiefsten Fragen?“
  • Was lässt mich zu einer tiefen Ruhe kommen?“

(W. Lambert)

Literatur

  • W. Lambert, Das siebenfach Ja, Exerzitien-ein Weg zum Leben, Ignatianische Impulse Band 1 Würzburg2010, S.11)

(Text von Gustav Schädlich-Buter)