Leiblichkeit

„Wisst ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des heiligen Geistes ist, der in euch wohnt und den ihr von Gott habt? Ihr gehört nicht euch selbst; denn um einen teuren Preis seid ihr erkauft worden. Verherrlicht also Gott in eurem Leib“ (1. Kor 6, 19ff)

Ein solches Verständnis des Leibes scheint wohl den meisten unter uns ziemlich fremd. Unser Körper soll zunächst einmal funktionieren, strapazier- und leistungsfähig sein und schön! Zumindest aber soll er, wenn schon keine besonderen sportlichen Leistungen mit ihm zu erreichen sind und er für Schönheitswettbewerbe nicht tauglich erscheint, wenigstens nicht störend auffallen; wenn aber doch, so soll der Defekt an der „Körpermaschine“ möglichst schnell vom ärztlichen Wartungsdienst behoben werden, wobei der Mediziner die Stellung eines vom Kranken beauftragten Handwerkers bekommt, der eine erfolgreiche Reparatur durchführen soll.

In all den beschriebenen Fällen wird der Körper - mein eigener Körper - zu einem äußerlich betrachteten Gegenstand, über den „Ich“ von außen verfügen kann. Dabei übersehe ich sehr leicht, selbst wenn ich bei der gegenständlichen Betrachtung bleibe, welch ein Wunderwerk der Natur dieser menschliche Körper ist:

„Unser Körper besteht aus einer gigantischen Zahl von Zellen: ca. 100 Billionen Einzelzellen, die sich in ungefähr 100 verschiedene Zelltypen unterscheiden. Sie sind wahre Wunderkinder. Sie arbeiten wie kleine Fabriken. Produzieren bestimmte Stoff, verarbeiten andere, transportieren Signale und Materie in einem oft atemberaubenden Tempo. Ein ständiger Sterbe- und Erneuerungsprozess findet in meinem Körper statt ... Die verschiedenen Systeme unseres Körpers arbeiten auf geheimnisvolle Weise zusammen. Nerven-, Hormon- und Immunsystem ebenso wie Verdauung und Kreislauf. Über Neurotransmitter geschieht ein ständiger Kommunikationsprozess. Das Gehirn hat keineswegs ein Monopol in der Herstellung dieser Botenstoffe, sondern vom Darm, Magen, Nieren und sogar aus den Immunzellen werden diese Signalstoffe ebenfalls ausgeschüttet. Kommunikation total. Das alles geschieht in einem Tempo und einer Präzision, die unvorstellbar ist.“ (L. Kuschnik, Lebensmut in schwerer Krankheit, S.54 f., 1999)

Allein diese kurzen Ausführungen könnten zum Staunen über unsere Leiblichkeit anleiten; aber sie reichen nicht hin, das Körper-Leib Phänomen zu erfassen.

Die körperliche Erfahrung verhält sich zur leiblichen Erfahrung in etwa wie die Schale zum Kern. Im Wörterbuch der Gebrüder Grimm ist „Leib“ ein Synonym von Leben und es steht in einer weiteren Bedeutung für die Person selbst; erst in einer dritten Bedeutung hat das Wort Leib die Bedeutung „Körper“ und zwar im Gegensatz zu Seele und Geist.

Der Theologe Karl Rahner weist daraufhin, dass sich „geistige Person notwendig und immer als Leib und in Leiblichkeit vollzieht.“(vgl. Schriften zur Theologie, Band IV, 1960)

Der Begründer der personalen Leibtherapie K. Graf Dürckheim unterscheidet den Körper, den man hat, den man fit und leistungsfähig halten kann, den man von außen beobachten kann, von den man sich distanzieren kann, unter dem man leiden kann ... „vom Leib, der man ist“ (vgl. Erlebnis und Wandlung, München 1982); also dem Leib, in dem ich mich unverwechselbar ausdrücke, in dem ich mich von innen her empfinde und der Ausdruck meiner Seele als innerer Einheitsgrund und dynamische Mitte ist; der Leib, von dem wir glaubend hoffen, dass er den Tod des Körpers überdauert.

Der Leib vermittelt mir zudem all die wunderbaren sinnlichen Erfahrungen: Essen und Trinken, Tanz und Musik, Farben und Klänge, sehen, hören, riechen, schmecken, berühren und berührt-werden - all das sind leibliche Einheitsereignisse. Denn ich sage ja nicht, meine Augen haben dieses wunderbare Bild gesehen, sondern: "ich habe dieses wunderbare Bild gesehen." Der Leib überschreitet Körpergrenzen zum anderen hin (im Spüren, empathischen Einfühlung, ...), auf die Schöpfung und auf Gott hin, so dass ich mich als Teil eines größeren Ganzen spüren kann.

Günther Remmert versucht in sehr hilfreichen Bild-Worten dem Phänomen des menschlichen Leibes nachzuspüren.(vgl. dazu: Vortrag- Seminarhaus Schmiede)

„Der Leib als Tür“ weist daraufhin, dass über den Leib Kontakt, Austausch und Kommunikation mit den Dingen und Menschen geschieht. Der Leib als Tür, die sich öffnen und schließen kann und dadurch verbinden, aber auch trennen kann. „Der Leib als Speicher“ erinnert daran, dass in unserem Leib nicht nur die Erfahrungen der Evolution, sondern unsere persönliche Geschichte und Biografie gespeichert ist: Glück und Trauer, erprobte Verhaltensweisen, Verletzungen und Wunden, seelische und geistige Haltungen. Im Leib werden die seelischen Erfahrungen sichtbar in Gang, Gestik, Mimik, Blick und Stimme. Der Leib kann auch „als Spiegel“ verstanden werden für Gefühle, innere Regungen, Einfälle oder geistige Bewegungen. Im Nachahmen einer Körperhaltung kann ich spüren wie es einem anderen ergeht. „Der Leib als Haus“ weist daraufhin, dass der Leib mit einem Haus voller Räume und mit mehreren Stockwerken verglichen werden kann, wobei sich viele Menschen in unserem Kulturkreis vor allem in den oberen Stockwerken, also: im „Kopf“ aufhalten. Viele lassen sich nicht richtig auf dem "Boden" (Beckenbereich) nieder, bauen ihr Leibhaus also auf einem unsicheren Fundament. Der Leib kann auch mit einem „Musikinstrument“ verglichen werden, das gut gestimmt oder eben verstimmt sein kann. Der Leib-tonus kann durchlässig sein, aber auch schwammig, kraftlos oder verspannt und hart. Kann ich meinem Leib neue Spielweisen entlocken, meinen eigenen Ton und Klang zum Schwingen bringen oder bleibe ich in gewohnten oder kollektiven Bewegungs- und Spannungsmustern gefangen? „Der Leib als Tempel“ verändert die Eigentumsverhältnisse, weil mein Leib nicht mehr dem „Ich“, sondern einer höheren Instanz anvertraut und überantwortet wird. An dieser Stelle kommt die spirituelle Bedeutsamkeit des Leibes ins Spiel: der Leib wird zum Ausdruck des Göttlichen, zum Werkzeug des heiligen Geistes und zum Gefäß göttlicher Gnade. Die spirituelle Bedeutung des Leibes besteht also darin, dass der Mensch durchlässig wird für die ihm innewohnende Transzendenz. Dabei hängt die spirituelle Präsenz des Leibes nicht an der körperlichen Gesundheit; diese kann nämlich von einem kranken, behinderten oder sterbenden Menschen genauso oder sogar in stärkerem Maße ausgehen als von einem gesunden. (vgl. K.Graf Dürckheim, Vom doppelten Ursprung des Menschen.)

Zum Schluss dieser Betrachtung soll eine kleine Meditation von Meinrad Dufner stehen, die womöglich ermuntern kann mit unserem Leib Freundschaft zu schließen:

"In diesen Dingen weiß nur, wer auch erfahren hat.// Ich habe nicht einen Leib, ich bin mein Leib.// Es ist eine große Kränkung- eine Dauerkränkung-, würde ich mich in Bezug auf meine Beine oder meine Ohren oder was auch immer an meinem Leib nicht annehmen können.// "Ich bin schön!" Das ist ein ebenso selbstverständlicher wie aufregender Satz.// Mein Leib ist das Gedächtnis all meiner Erfahrungen. Fortwährend wird Wort immer noch Fleisch.// (M. Dufner, in: Grün, Müller, Was macht Menschen krank, was macht sie gesund?, S.11)

Impuls

  • Was bedeutet 1 Kor 6,19f für meinen Umgang mit dem Leib?

Literatur

  • Otto Betz, Der Leib als sichtbare Seele, Stuttgart 1991

(Text von Gustav Schädlich-Buter)