Liebe

Liebe – ist das nicht ein altmodisches, verbrauchtes, oft missbrauchtes, abgegriffenes, sentimentales Wort? Mag sein, und dennoch benennt es die zentrale und lebensentscheidende Erfahrung unseres Lebens. Kein Mensch wäre geboren und würde auf Dauer leben können, würde nicht zumindest ein Funke Liebe in sein Leben hineinstrahlen.

Liebe ist das Grundelixier des Lebens. Wer sich geliebt weiß, kann sich vertrauensvoll dem großen Strom des Lebens öffnen. Wer sich geliebt weiß, wer das Glück hatte, in einem Nest von Liebe und Sicherheit aufzuwachsen, der kann sich verwurzeln in der Welt, in seinem Leib, der weiß sich verbunden mit anderen.

Ein Charakteristikum von Liebe, die für alle ihre Formen zutrifft- für die leidenschaftliche Anziehung ebenso wie für die Liebe unter Geschwistern, besteht darin: ich habe ein Bewusstsein des Zusammengehörens und ich nehme dieses Zusammengehören von ganzem Herzen an. Liebe ist ein Ja aus ganzem Herzen zum Zusammengehören, ein Ja, das letztlich unsere Feinde einschließt. Die ganze Erde sitzt im selben Boot. (vgl. David Steindl- Rast, Fülle und Nichts) „Alle sollen eins sein“, heißt es im Johannesevangelium (vgl. Joh 17, 20-26)

Noch ein anderes Bild:

Lieben, das heißt eintauchen in den großen Strom des Lebens, des Erbarmens und der schöpferischen Freude. Lieben gleicht einem Fluss, ist ein Strömen und Weiterströmen lassen, was ich umsonst empfangen habe. Ich darf die Bremsen lösen, mein Nein aufgeben und „Ja-sagen“ zum mir geschenkten Leben.

Zu viele Menschen fühlen sich nicht geliebt, einsam, unansehnlich und nicht gebraucht; zu viele Menschen fühlen sich nur unter Bedingungen geliebt: solange ich funktioniere, meine Rolle spiele, nicht auffalle, die geforderte Leistung bringe ... Aber was ist, wenn ich nicht mehr funktioniere, wenn ich krank werde - körperlich oder psychisch, wenn ich nicht mehr arbeits- und leistungsfähig bin?

Wer sich nicht geliebt weiß, fühlt sich wie ein ausgetrockneter Fluss, dem das Wasser des Lebens abgesperrt worden ist. Wer sich nicht geliebt weiß, verfällt der Traurigkeit oder wird destruktiv. Zu viele Menschen gibt es auf dieser Erde - gerade in unserer reichen Welt -, denen das Nahrungsmittel „Liebe“ vorenthalten bleibt.

Zu vielen Kindern auf dieser Welt werden unechte Ersatzstücke von Liebe verabreicht, an denen die Konsummaschinerie verdient; Kinderzimmer quellen über mit Spielzeug und sollen elterliche Liebe ersetzen. Aber Liebe in Form von Interesse, Aufmerksamkeit, Zuwendung und Bestätigung ist das Nahrungsmittel für das Herz der Kinder.

Liebe ist ein Heilmittel und schenkt die Erfahrung: da ist jemand an meiner Seite, ich bin nicht allein, jemand interessiert sich für mich, jemand ist von meinem Schicksal angerührt, jemand hält zu mir, jemand schaut mich an, gibt mir An-sehen.

Liebe nimmt auch den Druck, nimmt den Problemen und Sorgen des Lebens das Gewicht, lässt bestehen in einer manchmal absurden und leidgeprüften Welt.

Impulse

  • An welchen Stellen meines Lebens erfahre ich besonders, dass ich geliebt bin?
  • Liebe ich mich selbst?
  • Wie und wo zeige ich meine Liebe anderen Menschen?

Literatur

  • Jean Vanier, Weites Herz, Dem Geheimnis der Liebe auf der Spur, Neufeld 2010

(Text von Gustav Schädlich-Buter)