Grenzerfahrung Gott- Spirituelle Erfahrung in Leid und Krankheit - Monika Renz

Buch :Monika Renz, Grenzerfahrung Gott, spirituelle Erfahrung in Leid und Krankheit, Freiburg im Breisgau 2010, Exzerpte zum privaten Gebrauch)

Spiritualität heute?

Monika Renz ist der Auffassung: Spiritualität ist heute kaum mehr möglich über den radikalen Ausstieg aus Macht und weltlichen Bindungen wie zur Zeit eines Franz von Assisi. Überzeugende Spiritualität ist heute gefordert als Erfahrung und Haltung inmitten von Realität , als Absage an die Verführung der Macht inmitten von mächtigen Positionen, als Freisein nicht ohne, sondern inmitten von Leid, Armut, Abhängigkeit und Überforderung. Das Wort inmitten mündete im Spitalalltag in die Frage:

Sie frägt: Gibt es eine Spiritualität der Not? Und was können Schwerkranke und Sterbende und darüber lehren?

Das Projekt

Monika Renz unternimmt ein Forschungsprojekt am Kantonsspital St. Gallen zum Thema „Spirituelle Erfahrung in schwerer Krankheit“ mit folgenden leitenden Fragen:

  • Was ist spirituelle Erfahrung?
  • Gibt es trotz aller Individualität und Intimität auch Merkmale oder Wesenszüge solcher Erfahrung?
  • Wo beginnt im Rahmeneiner Erfahrung das Spirituelle und wo reden wir besser von einer Erfahrung im Zwischenmenschlichen oder Immanenten?
  • Wo liegt der Unterschied zwischen Spiritualität und Religion?

Aber auch pastoral-theologische Fragen werden von Renz aufgegriffen:

  • Helfen tradierte Gottesbilder sterben, wo jemand einfach nicht sterben kann?
  • Helfen sie leben, wo jemand verzweifelt ist?
  • Helfen stimmig eingesetzte geistliche Zeichen wie Kommunion, Lossprechung oder Krankensalbung oder bewirken sie nichts?
  • Wie wird der gepredigte Gott zum Gott der eigenen Erfahrung?

Die Methode

Beim Projekt selber ergeben sich etliche Hürden. Ist gezieltes Fragen angesichts eines solch intimen Themas überhaupt möglich?? Wäre nicht schon das Befragen Manipulation? Nur eins ist klar für M. Renz: Im Mittelpunkt musste das Interesse der Patienten selbst stehen: ihre Gewissensfreiheit, ihre Bedürfnisse, Grenzen und Tabuthemen, ihr Vokabular. Deshalb sieht M.Renz von einem Fragebogen und einer im Voraus festgelegten Systematik ab; „denn ein solch absichtsvolles Auftreten meinerseits vermochte Patienten zu irritieren: ´Was führen Sie den im Schilde?`“ Und Renz schreibt weiter angesichts dieser Erfahrung:

„Zusammen mit ihr (der Patientin) musste ich zurückfinden zur Stimmigkeit des Augenblicks und zum einzigen, was in jener Stunde wichtig war: genau sie. Begebenheiten wie diese waren nicht zufällig: Spiritualität und Absicht vertragen sich nicht.“

So beschränkte M. Renz ihr Vorhaben darauf, einfach Menschen zu begleiten und die Begegnungen zu protokollieren.

„... Ich kehrte zu meiner Freiheit und therapeutischen Offenheit zurück. Was geschah? Was geschah nicht?"

„Mehr als ein Drittel aller Patienten auf den durch mich betreuten Stationen wünschten meine Begleitung. Mehr als die Hälfte von ihnen erlebten etwas ungeahnt Spirituelles.! Und die Wirkungen solcher Erfahrungen waren ausnahmslos eindrücklich.“ (S.17)

M. Renz schreibt, dass sie durch das Projekt auch ganz intensiv in ihrem persönlichen Glauben herausgefordert wurde. Sie beschreibt ihre inneren Kämpfe und Fragen folgendermaßen:

„Meine Arbeit warf mich in alte und neue Zweifel hinein: Glaube ich trotz soviel Elend an einen Gott? Welcher Gott kann Menschen so leiden lassen? Wie überhaupt Worte wie Gott in den Mund nehmen, wo Menschen nicht wissen, wie sich selbst und die nächste Stunde aushalten? Wie einen Gott herbeireden- fast möchte ich sagen herbeizaubern- in eine Nacht hinein, die wie ein Schreckgespenst um sich greift? Kann in solche Not hinein überhaupt noch von Spiritualität gesprochen werden, ohne phrasenhaft bis beleidigend beim Kranken anzukommen? Wie von Gott reden, wo Er nur schweigt? Gibt es eine Spiritualität, die nicht unter Wohlstands- oder Fluchtverdacht steht, das heißt am echten Elend vorbeizielt? Meine Frage lautet: Gibt es Antworten auch im Elend?“ (S.19)

Spiritualität - was ist das?

Der Begriff

Spiritualität ist zum Modewort geworden. Der Begriff wird in den verschiedensten Zusammenhängen gebraucht und bisweilen auch missbraucht. Bei allen Differenzen (der unterschiedlichen Spiritualitäten) steht das Wort Spiritualität für eine bestimmte geistige Ausrichtung. Es verweist auf etwas Geistig-Geistliches, was nicht einfach identisch ist mit seelisch. Ebenso umgibt der Charakter der Unfassbarkeit ( und Zwiespältigkeit) das Phänomen Spiritualität bis heute. Renz verweist auf Karl Rahner, der Gott als Geheimnis, als den Unbegreiflichen, als letztes Wort vor dem Verstummen in die moderne Theologie eingebracht hat. Auch in einer säkularisierten Gesellschaft gibt es einen Hunger nach Spiritualität. Menschen leiden an einem Mangel an erfahrener Gottnähe, an einem spirituellen Loch. Spiritualität ist aber auch mehr als eine bestimmte Meditationspraktik. Sie ist Erfahrung mit einem ewig Anderen., das unverfügbar bleibt.

Spiritualität und Therapie

M. Renz vertritt die Position, dass Spiritualität auch in der therapeutischen Arbeit ihren Platz hat und diese Dimension wird vor allem durch den Schicksalsaspekt einer schweren Erkrankung/Krebserkrankung ins Spiel gebracht. Die Krebserkrankung selbst konfrontiert mit existentiellen und letzten Fragen:

  • Werde ich wieder gesund?
  • Warum trifft es ausgerechnet mich, ich habe nichts Böses getan?
  • Warum werde ich ausgerechnet jetzt krank, wo ich endlich aufatmen könnte?
  • Was hat das alles für einen Sinn?
  • Ich bin so müde, gibt es überhaupt noch etwas, das mich motiviert?

Der Leidensdruck in solcher Krankheit ist groß, die Zeit zu letzten Reifungsschritten oft kurz bemessen. Umso mehr drängt es von innen her in spirituelle Dimensionen. Der therapeutische Zugang zu Menschen geschieht nicht über die Frage nach ihrer Religionszugehörigkeit, sondern über Fragen wie:

  • „Woran leiden Sie?“
  • „Wonach sehnen sie sich im Innersten?“
  • „Was spendet ihnen Mut und Durchhaltekraft?

Und all dies immer im Blick auf das, was jetzt gerade drängt. Alle Spiritualität am Krankenbett orientiert sich am Patienten.“ (S.30) Spiritualität wie sie Renz versteht nimmt ihr Maß an jeder einzelnen Begegnung und darf keiner bestimmten Schule verpflichtet sein. Zugleich darf und soll ich um der Authenzität willen meine Nähe zu einer bestimmten Theologie und zu einem bestimmten Glaubensgut transparent machen, sofern dies ausdrücklich vom Patienten gesucht wird.

Spiritualität - ein Geschehen an der Grenze

Spiritualität ist laut Renz Erfahrung im Zwischenbereich von Mensch und einem Transzendenten, von Mensch und Gott. Menschen können dafür offen sein oder nicht. Spiritualität ist Berührung mit einer andersartigen Realität, zu der er Ja sagen kann oder Nein. Spiritualität kann erfahren werden als Einladung von ganz ferne, die es manchmal erst richtig zu hören lernen gilt.

M. Renz weist daraufhin, dass es viele Fluchtmöglichkeiten gibt vor dem Ruf und der Ruf ambivalent und angstbesetzt ist. Denn er ist der Ort, wo das nackte Ich sich von einem Unfassbaren berührt bis überwältigt erfährt (tremendum et fascinosum).

In der spirituellen Erfahrung ist der nicht sichtbare Bereich unausweichlich nahe gekommen. Das Ich verliert sich zunächst selbst in diesem Übersteigenden, um später erfahren zu dürfen, dass es sich darin anders und neu gefunden hat.

Therapeutinnen, Seelsorgerinnen und Priester sind Begleiter in solchen (ambivalenten und angstbesetzten) Grenzsituationen

Spiritualität bricht die psychischen Strukturen auf. Im Grenzbereich ist der Mensch nicht mehr Herr im eigenen Haus. So selbstverständlich dem Menschen das Erleben aus dem Stand im Eigenen erscheint, so fremd, anziehend und zugleich bedrohlich erfährt er in spirituellen Erfahrungen das total Andere.

Spirituelle Erfahrungen sprengen die Grenzendes normalen subjektgebundenen Erlebens und werden darin zur Relativierung unseres Ichs.

Angst und Erleben

Im subjektgebundenen Erleben wird auf vielfältige Weise Angst durchlebt: Angst, bedroht oder ohnmächtig, beschämend nichtig oder verloren zu sein. Angst findet einfach statt.

Sie ist nackte Existenzangst oder reine Körperreaktion: Schaudern, Frieren, Schwitzen, Zittern - Ur-Angst. Ungefragt, unerwartet bemächtigt sich Angst unserer Seele. Todesangst z.B., die Angst vor dem Sterben, die Angst ohnmächtig ausgeliefert zu sein, die Angst vor völliger Verlassenheit ergreift den Menschen. Angst ist immer irrational, sie bricht über mich herein und entschwindet wieder. Und doch ist Angst nur im subjektgebundenen Erleben möglich. Denn nur aus dem Blickwinkel des Eigenen gibt es die Sorge um den Nächsten und das Engagement für die persönlichen Anliegen. Subjektgebundenes Erleben ist begrenztes Erleben. Das Risiko zu sterben, ja zu scheitern und damit eine permanente Angstbereitschaft sind des Ichs ständiger schattenhafter Begleiter. Angst entsteht im Zusammenhang mit der frühesten Bewusstseinsentwicklung, d.h. mit dem bewussteren Ankommen des Menschen bei sich selbst. Außerhalb dieser auf das Eigene bezogene Erleben ist Angst kein Thema.

Immer wieder erfahren Patienten zumindest für Momente, dass die Angst keine Macht über sie hat. Eine Patientin meint, dass das Andere - Gott - immer da wäre, nur wir seien nicht immer angeschlossen. Die Beziehung zu Gott gleiche einem Wackelkontakt. (vgl. S37)

Spirituelle Erfahrungen sind Antworten von innen. Sie sind Annäherungen an eine völlig andere Qualität von Sein, Drin-Sein und Bezogen-sein. Sie spenden Zuversicht und bewirken immer wieder die Umwendung im Wechselbad zwischen Ur-Angst und Vertrauen.

Übergangsbefindlichkeiten

Entgrenzungserfahrungen (Koma, Todesnähe) und spirituelle Erfahrungen führen das Ich hinter seine wache Ich-Präsenz zurück in eine Grenz- oder Übergangsbefindlichkeit . In solchen Gegenden („Grenzländern“) muss das Ich sich selbst preisgeben. Patienten müssen aufhören zu denken, immer weniger kann vom Ich her zensiert und dominiert werden, immer mehr kann einfach nur wahrgenommen und ausgehalten werden.

Der Standort zwischen zwei völlig verschiedenen Realitäten kann durch schlimme und äußerst gefährliche Ängste führen, Ängste apokalyptischer Dimension.

Im Davor, wo das Ich immer noch nicht voll losgelassen hat, wird Ohnmacht total erlebt. Schmerzen sind himmelschreiend, Unbeweglichkeit und Angst zum Wahnsinnigwerden. Und die Patienten fühlen sich mutterseelenallein, weil niemand das Ausmaß ihres Leidens begreift.

Patienten hilft oft eine glaubwürdige Info über den Zusammenhang von Wahrnehmung und Angst/Schmerz. Also, dass Schmerzen und Ängste in Abhängigkeit stehen zu unserer Wahrnehmung und Durchgangsrealitäten sind. Schmerzen zwingen oft loszulassen.

Im Grenzbereich ist offen wer oder was die Szene beherrscht: gute oder böse Mächte , Realität, Alpträume oder Projektionen. Im Grenzbereich sind Qualitäten wie gut und böse, verschlingend und rettend hautnah beieinander. Dort entstehen Bilder, Formen, Gegensätze und lösen sich auch auf. Der Grenzbereich als Schwelle und Tor zwischen dem Bereich des Ich und einem Ewigen.

In der „ Wüste “ und nicht im Normalzustand wird der Mensch sowohl von bösen Mächten versucht, aber ebenso wird er dort, am Ende seiner Weisheit, vom Engel berührt, genährt und ist offen für Gott als den ganz Anderen.

Das Medium Musik

Grenzzustände sind hörende Zustände. Lebens- und Grenzsituationen (z.B. Koma, tiefe Regression, vorgeburtliches Dasein, beim Sterben), in denen sich der Mensch mehr über das Ohr als über andere Sinnesorgane an die Welt angeschlossen fühlt oder eben nicht. Dies sind Zustände, in denen der Mensch anders und anderes hört .

Für Sterbende und für Menschen an der äußersten Grenze eines Leides ist die Qualität der dortigen Stimmung - von M. Renz Schwingungsumgebung genannt - entscheidend für einen Therapieerfolg zurück ins Leben oder hinein in ein friedvoll erlöstes Sterben.

Es sind nachweislich Doppelbotschaften - d.h. Unbewusstheiten - welche in solchen Stadien und in der frühen Kindheit zutiefst irritieren. Bei Sterbenden kommt keine Reaktion, wo ich innerlich nicht sowohl bei mir wie auch bei ihnen bin. Und Schwerkranke, die noch reden können, ziehen sich zurück, weil nicht abgeholt, betrogen oder unverstanden.

Das Ansprechbarsein über das Ohr wird zur Chance der Musiktherapie. Musik unterwandert Hemmungen, Blockaden und Ängste verschiedenster Art. Musik eröffnet einen Zugang zum sonst verborgenen. M. Renz, die im Spital auch als Musiktherapeutin arbeitet z.B. mit Klangreisen beschreibt diese Therapie noch ausführlicher und zählt Musik zu den bewusstseinsferneren Medien; im Unterschied zu Wort, Bild, Körper ist Musik unfassbarer und wie alles Geistige flüchtig. Aber:

„Noch bewusstseinsferner als Musik orte ich die Spiritualität und spirituelle Erfahrung: Sie umkreist das Unfassbare an sich und gibt eine Ahnung über dessen Existenz.“ (vgl.S.44)

Das innere Kind in seiner Sprache erreichen oder das wortlose Leiden

Leiden kann wortlos sein, so abgründig, dass es keine Worte dafür gibt und nie gab. Viele dieser wortlosen leiden entstammen einer Zeit, da das Kind noch keine Worte für etwas damals Erlebtes fand (existentielle Verlassenheit, Hunger, Hohn, Krieg, Gewalt). M.Renz verweist darauf, dass abgründige traumatische Seelenprägungen häufiger vorkommen als man denkt. Die in Seele und Körper eingeprägten Erinnerungsspuren, machen sich später gerade in Zuständen von Ohnmacht und Krankheit wie ein nächtlicher Spuk und eine nicht zu beruhigende Angstbereitschaft bemerkbar. Patienten sind dann oft wie damals gejagt vor Schreck, gelähmt vor Angst und mit ihren Ängsten allein, weil sie für Außenstehende schwer nachvollziehbar sind. Das Namenlose erhält Macht über sie.

Wie geht Renz damit um?

Zuerst einmal die Beruhigung: „Was Sie erleben ist normal. Es gehört zum Dasein vieler Patienten.“ Linderung, Beruhigung, Befreiung aus Angst ist am Krankenbett wichtiger als irgendwelche Ursachen und Ängste von Prägungen aufzuspüren.

Die zentrale Frage lautet nach Renz:

„Welches Zeichen wird vom inneren Kind verstanden? Welche Sprache erreicht den Körper und das Unbewusste des Patienten?“

Für Renz gilt die Regel: Je tiefer ein Trauma, umso tiefer müssen die Zeichen der Erlösung greifen. Das im Grenzbereich Gefangene kann nur in der Sprache des Grenzbereiches befreit werden. Im Wortlosen greifen keine Worte. Manchmal hilft ein Traum, eine feine Musik, ein religiöses Zeichen wie Segen oder Krankensalbung zur seelischen Heilung. Das Spirituelle liegt dann in der Atmosphäre eines solchen Zeichens. Zeichen und Sprache allein aber reichen nicht aus, wenn ich selbst dabei nur Funktionärin und nicht meinerseits Glaubende bin. Der Schrei oder das stumme Leiden kann zur persönlichen Anfrage werden, ob ich selbst an die Kraft glaube, die in einem solchen Zeichen wirksam werden kann. Es gibt heilende Rituale, aber auch die Gefahr der Manipulation. Wie kann man herausspüren, wer was wann braucht? Einerseits kann mit religiösen Zeichen und Riten nicht vorsichtig genug umgegangen werden, andererseits ist es bedauerlich, wenn vor lauter Vorsicht und innerer Entfremdung der Mut zu Sakramenten, zu Segen und Salbung fehlt.

Spiritualität entsteht nicht einfach so, sondern im Zusammenwirken von Authentizität und Gnade. Spiritualität kommt auf, wo Menschen sich in genau ihrer Situation und Verfassung vor einem ewig Größeren einfinden und für dessen Wirkung offen werden. Spiritualität ist dann ein Geschehen, wofür es kaum Worte gibt.

Hoffnung auf Heil - Aushalten im Heillosen

Hoffnung im Hoffnungslosen

„Hoffnung oder Illusion? Hoffnung und Heilung sind für Menschen, die in einem Spital arbeiten, gefährliche Worte. Fast alle Patienten hoffen, gesund zu werden. Zwei Drittel der Krebskranken mit denen ich arbeitete, hofften auf ein Wunder ... Häufig muss ich mit den Kranken zusammen von unrealistischer zu geläuterter Hoffnung finden. Zu einer Hoffnung, die sowohl für eine Rückkehr ins Leben wie auch für einen baldigen Tod offen ist. Ein langer Weg, der nicht selten mit der Erlaubnis zur Hoffnung beginnt ...“ (S.49)

Renz vertritt die Auffassung, dass sich die Antriebskraft Hoffnung wie ein roter Faden durch den Krankheitsprozess hindurchziehen sollte, sich aber die Konkretisierung, das „worauf darf ich hoffen?“ wandeln darf.

Von der Hoffnung gesund zu werden, zur Hoffnung auf eine nochmals gute Zeit.

Von der Hoffnung auf Leben zur Hoffnung auf einen guten Tod ...

Es gibt nicht nur das Recht auf Hoffnung, sondern sogar die Pflicht dazu.

Bibel – ein Trost und Hoffnungsbuch? Hoffnung auf Heil

„ Mit der Bibel müssen sie mir nicht kommen. In meiner Bibel steht dasselbe wie in der Ihrigen. Rezepte lassen sie am besten zu Hause.“ - so eine Patientin.Wie gelingt es, sich inmitten des Leidens sich noch berühren zu lassen vom Heilsamen?

Heilsein versteht Renz als einen Grenzbegriff; er verweist auf die tiefste Form des Bei-sich-Seins und zugleich Mehr- als- Ich –Sein. Heilsein auch als Gegenentwurf zu Zuständen des Gespaltenseins oder des narzisstisch Abgekapseltseins, aber auch Gegenentwurf zum Entfremdet-, Gefangen-, Getrieben- und Besetztsein.

Im Spital gilt es den pragmatischen Weg nach dem konkret Heilsamen zu verfolgen und ernst zu nehmen: Im Letzten darf es nicht um meine Überzeugung, um Forschungsziele, um Erfolg oder Werben für einen bestimmten Gott gehen. Sondern:

Was braucht dieser Mensch?

Was heilt, was tröstet gerade jetzt, was hilft für die nächste Nacht, was erreicht diesen Menschen in genau seiner Lebenslage?

Gerade in dieser Verbindung von Religiosität und Zweifel gibt es immer wieder jenes Unfassbare, das Menschen Berührung und Heil bringt.

Jeder Mensch hat seine eigenen Sehnsüchte nach Heil. Heile Befindlichkeiten sind nicht machbar, höchstens erfahrbar. Heilung ist nicht Besserung, sondern Wandlung. Heilung geschieht nie erwartet, ist immer anders.. Heilung gelingt nie umfassend, sondern immer bruchstückhaft. Heilsein ist theologisch formuliert eine eschatalogische Qualität.

Spiritualität ist ein atmosphärisches Geschehen, ein qualitatives Mehr und geht einher mit der Ehrfurcht vor der Gläubigkeit und Andersgläubigkeit anderer. (S.49)

Sehnsucht und Hoffnung

Die Sehnsucht nach Heil-sein wurzelt in der Erfahrung, verwundet, nicht mehr ganz zu sein.

Jalics bezeichnet die Sehnsucht nach Gott, nach dem Wesentlichen, nach der eigentlichen Heimat als die Kraft, die zur Kontemplation und zur Stille führt.

Oft wird heute diese Ursehnsucht gar nicht mehr gefühlt und wir verfangen uns in dem, was wir haben und besitzen, in Ablenkungen und Absicherungen.

Hoffnung können wir nicht haben und sie ist kein Besitz. Und Heil noch weniger.

Sehnsucht will nicht billig gestillt, sondern aufrechterhalten werden. Nur die wache Sehnsucht ist fähig, uns auch den Weg im Dunkel Schritt um Schritt zu weisen.

Hoffen ist mehr als Loslassen und etwas anderes als vertrauen; es setzt die aktive Bereitschaft voraus, trotz aller Ungewissheit noch immer auf die Zukunft zu setzen und von ihr etwas zu erwarten.

Hoffnung findet ihre Glaubwürdigkeit erst durch die Erfahrung von Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung hindurch. Manchmal geht es um die Kraft für die nächsten Atemzüge. Das Problem für den Seelsorger/Therapeuten ist, immer wieder in der Hoffnung anzukommen. Mit viel Disziplin, durch eigene Verzweiflung, Unlust und geistige Widerstände hindurch, muss ich mich immer wieder dieser Aufgabe, meist mehrmals täglich stellen. „In der Hoffnung sein“ kann man auch „“im Geist sein“, die „Liebe leben“ bezeichnen. Das Ankommen darin bleibt Aufgabe.

Im Aufrechterhalten der Spannung zwischen Realismus (mit seinen Unwägbarkeiten, Ungerechtigkeiten ...) und der Sehnsucht (nach Hei .l..) geht die Dynamik echten Hoffens aus. Hoffnung als Prozess ist weder zynischer Pessimismus noch naiver Optimismus. Erst aus der ausgehaltenen Spannung zwischen Realität und Sehnsucht erwachsen kreative Lösungen.

Kreatives Leiden

Leiden (von Patienten) wird dort kreativ, wo Menschen unverschönert aushalten und zugleich dem Prozess (Schicksal , Leben, Gott) schlussendlich mehr zutrauen. Ein sterbender Mann formuliert das so:

„Indem ich mich so entscheide (für eine Hoffnung wider alle Hoffnung), bin ich selbst auch mehr als mein dahinvegetierender Körper.“(S. 59)

Wege der Hoffnung beginnen damit, dass wir überhaupt erst ankommen am Ort des Leidens, bei unseren tiefen Sehnsüchten und unserem eigentlichen Schmerz.

Aushalten

Fürs zweite heißt es: aushalten...und nochmals aushalten(meint nicht fromme Ergebenheit und Leidmystifizierung), was viel mit einer Bereitschaft zu tun hat zu fühlen (rebellisch, wütend, ...) und so innerlich lebendig zu bleiben. Eine Form des Leidens (nicht masochistisch gemeint), um die Dunkelheit der Seele zu durchwandern. (vgl. auch Jalics).

In der Hoffnung sein heißt auch wenn sich äußerlich wenig verändert offen zu bleiben auf etwas Besseres, Rettendes, auf Bewegung hin. Also das Gegenteil von Verhärtung im Trotz.

Getragen durch Familie und Freunde

Helfend ist auch die Solidarität in der Hoffnung, die nie so groß ist wie in den Tiefpunkten des Leidens. „Einer allein kann nie genug hoffen.“ Die Erfahrungen im Spital zeigen, dass Sterbende bisweilen wunderbare Erfahrungen von Getragensein durch ihre Familien und Freunde machen durften. Hoffnung ist und bleibt auf Gemeinschaft angewiesen und entsteht im geteilten Leid.

Spiritualität als Beziehungsgeschehen

Beziehung ist Eingeständnis von Abhängigkeit und Bedürftigkeit. Beziehungssehnsucht macht verletzlich. Sich auf Beziehung einzulassen ist riskant. Wir riskieren, enttäuscht zu werden oder das, was wir lieben, zu verlieren. „Mich auf die Beziehung zu Gott einzulassen, ist das größte Risiko des Leben“, denn Beziehung zu einem Unbegreiflichen zu ersehnen heißt, sich auf ein Abenteuer einzulassen, dessen Ausgang vom Menschen her gedacht, völlig offen ist. Man riskiert am Ende des Lebens alles nochmals anders sehen zu müssen .

Dort, wo Patienten genau fixiert waren auf ihren Gott (ihr Gottesbild), fanden sie ihn meistens nicht.

Zur Theorie von Spiritualität

M. Renz warnt vor einer leichtsinnigen Adaption fernöstlicher Meditationsweisen, bei der meditative Gelassenheit verwechselt wird mit verdrängten Gefühlen und einem sich äußerlich angeeigneten Frei-sein. Im Spirituellen wird (auch bei Patienten) ein Abgehobensein gesucht - fern aller Körperlichkeit, Emotion und Beziehung und eine Angst vor dem gefühlten und gelebten Leben.

Für Renz ist Spiritualität ein Bezogensein auf etwas Größeres hin. Spirituelle Erfahrungen lassen sich vom Ich her weder machen noch ansteuern und setzen eine grundsätzliche Offenheit auf ein „Mehr als Ich“ voraus, (vgl. S.69) Im Unterschied zur Religiosität, die Renz als vom Menschen eingebrachte Haltung (des Glaubens und der Offenheit) versteht, meint Spiritualität ein irrationales Grenzgeschehen, das sich ereignet oder nicht.

Was ist Spiritualität?

Weder Medizin noch Theologie, weder Hirnforschung, Neurobiologie und Psychiatrie noch Neuro-Theologie oder die Erforschung außersinnlicher Bewusstseinszustände können letztgültige Aussagen machen über Zustandekommen, Erfahrbarkeit oder Nichterfahrbarkeit solcher Phänomene. Und noch weniger über die Qualität von Erfahrungen und deren Inhalte.

Einheitserfahrungen und Gegenübererfahrungen

Geht es darin letztlich um Einheit oder um Beziehung?

Patienten reden in Ehrfurcht ergriffen von „unsäglicher und doch gegenstandsloser Liebe“, „einem wunderbaren Frieden“, „einer unbeschreiblichen Freiheit“, ...

Renz plädiert dafür, Einheitserfahrungen und Gegenübererfahrungen (zur Dialogphilosophie vergleiche M. Buber) nicht gegeneinander auszuspielen. Das Personale kann sich erfüllen im Gegenstandslosen, das Gegenstandlose im Bezogenen. Die Frage nach dem Letzten kann gerade nicht beantwortet werden. Aufgabe der negativen Mystik besteht darin, das bleibende Geheimnis Gottes gerade nicht auflösen zu wollen.

Das „Ich“ unangetastet oder erschüttert?

Wo im Rahmen einer Erfahrung ein mehr oder minder betontes Ich unangetastetes Zentrum seiner selbst bleibt, bezeichne ich dies als Binnenerfahrung . Wo hingegen Berührung, Erschütterung und Relativierung im Ich stattfand, ist davon auszugehen, dass dies eine spirituelle Erfahrung war. Letzteres setzt Berührbarkeit, die Bereitschaft, sich einzulassen und Wandlung zuzulassen, voraus. Es geht also laut Renz um das sich Aufbrechen-lassen des Menschen auf ein Größeres (ein Mehr, ein Sinnüberschuss) hin, heraus aus seiner narzisstischen oder egozentrischen Verkapselung. Spirituelle Erfahrung ist mehr als das Transzendieren der Ich-Grenzen in einem psychologischen Sinn; es geht um das Eingeständnis, dass ein unverfügbar Anderes im Spiel ist. Trotzdem bleibt die Schwierigkeit der Unterscheidung zwischen Eigenem und Anderem wie es das Augustinuswort illustriert:

„Du aber warst noch innerer als mein Innerstes“.

Narzissmus, Beziehungsfähigkeit, Schuld und früheste Prägungen

Was steht unserer Beziehungsfähigkeit im Weg? Ist es Selbstsucht, Selbsthass, innere Not, welche Beziehungsfähigkeit verhindern? M. Renz sieht die Theologie eher lieblos mit dem Phänomen des Narzissmus umgehen: „Incurvatus in se – verkrümmt in sich selbst“ (Luther, Augustinus) ist ein Problem des sündigen Menschen, womit aber die frühen Prägungen (die zum N. führen) nicht erfasst werden. Weiterführend hält M. Renz dagegen die neueren Untersuchungen R. Schwagers zu Erbsündenlehre (Erbsünde und Heilsdrama ,1997), wo er vom strukturellen Bösen, von kollektiven , generationenübergreifenden und schwingungsmäßigen Einflüssen spricht. Damit erfasse er auch das Phänomen frühester menschlicher Prägung, die nicht primär Schuld ist, sondern verewigte Not in der Ausgangslage der condition humaine.

Renz versteht Narzissmus zunächst in Anlehnung an Kohut als eine Störung, die im Kind entsteht, wenn die Mutter ihrerseits um sich kreist und das Kind statt in einen liebenden Austausch auf sich selbst zurückgeworfen wird. Darüber hinaus versucht Renz noch ältere Wurzeln narzisstischer Störungen einzubeziehen: Noch bevor das Kind in den frühesten Austausch mit der Mutter eintritt, „wird“ das Kind am Klang. Es steht in Relation zu einer nicht weiter differenziert wahrgenommenen Schwingungsumgebung zum Ganzen, das auch früheste Erfahrungsform dessen ist, was Menschen später Gott nennen.

„Älter als alle Beziehungserfahrung mit Menschen ist eine tief unbewusste apersonale Beziehungserfahrung zum Grenzenlosen als Urgegenüber. Schon intrauterin, aber auch nachgeburtlich kommt es hier zur Alternative zwischen fließend, nährend, bekömmlich versus verwünscht, verschattet, traumatisiert. Letzteres führt zu einem sehr frühen Beziehungsabbruch, zu Urangst und zu einer ständigen Tendenz des Sich Abkapselns, verbunden mit einer hochgradig subjektgebundenen, egozentrischen Selbst- und Weltsicht. Damit ist auch der Zugang zum Spirituellen blockiert. Alle Beziehung, alle Erfahrung wird narzisstisch umgedeutet: das Du wird zur Sache, die das narzisstische Ich sich nützlich macht. Die spirituelle Botschaft fließt in seine eigenen Größenphantasien ein.....Bleibt ein narzisstisch geprägter Mensch ohne Chance, je offen zu werden auf das hin, was ihn von seiner Angst erlöst?“ (S.73)

Narzisstische Menschen leben wie hinter Glas und stecken in einem inneren Gefängnis. Hinter dieser Schutzwand verbirgt sich ein tiefes Leiden, steckt ein unstillbarer Hunger nach dem Verlorenen, nach fließendem Leben, nach Begegnung, ... Nur wenn Narzissmus als Leiden begriffen wird, besteht eine Chance zur Öffnung. Renz beschreibt wie durch das spürende Ankommen eines sterbenden Patienten bei sich selbst ein tieferer Seinszustand erreicht wurde, in dem nicht mehr das verängstigte, um sich selbst kreisende Ich die Szene beherrschte und dessen Angst vor Ohnmacht erlöst wurde. Ohnmacht ist das Eingeständnis von Bedürftigkeit, Angewiesensein auf andere und auf Gnade. Macht demgegenüber verschließt, die narzisstische Schale bleibt hart und auf Absicherung bedacht.

Verletzungen durch die Kirche

Hindernis auf dem Weg zur gelebten Spiritualität können für Patienten Erfahrungen sein, die sie mit der Institution Kirche oder einzelnen Repräsentanten gemacht haben. Eine Patientin. „Ich bin geschieden und darum ausgeschieden.“ Verletzungen dieser Art , die extreme Gefühle auslösen, brauchen Zeit und innere Versöhnungsarbeit. Renz liefert dazu zwei Fallbeispiele.

Gegenüberstörung

Renz verweist auf ein Phänomen, das sie Gegenüberstörung nennt. Immer wieder haben Patienten Probleme mit dem Wort Gott oder der Vorstellung eines numinosen Gegenübers. Die Not des je Einzelnen verweist auf die Frühzeit menschlicher Bewusstseinsentwicklung und auf die zu wenig bedachte Frage: Wann/wie/unter welchen Umständen wurde/wird ein Numinosum wahrgenommen? Wie wurde es erlebt? Wie wirkt es fort? Für Renz drängt sich ein Zusammenhang zwischen einer Urangst vor dem Numinosen und einer späteren Abwehr des Spirituellen auf.

„ Wie einst die Ur-Erfahrung Inbegriff des Zuviel war, so jetzt der bloße Gedanke Gott. Gott ist in der Tat Inbegriff von Zuviel: zu intensiv, zuviel Schwingung, zu dicht als Dichte, zu nah als Nähe, zu gefährlich und überwältigend in seiner Numinosität.“ (S.83)

Solidarität und existentielles Mitsein / Führung; Inflation

Renz berichtet davon, dass es innerhalb ihrer Projektarbeit eine beträchtliche Anzahl von Patientenprozessen gab, die sie in ein existentielles Mitgehen hineinverwiesen, bisweilen so radikal, dass sie zwischendurch selbst erledigt oder wie zerstört war.

„Ich fragte mich selbst immer wieder, wie es denn dazu komme, dass ich bisweilen ins Schicksal eines Menschen so einsteige, als wäre es das meinige? Es war Sympathie, aber auch entscheidend mehr. Meinerseits ein Ergriffensein von einer radikalen Qualität von Liebe und Solidarität, vom Gefühl „Du bist mir nicht gleichgültig“. Meistens unerklärlich: Warum ergreift mich diese Solidarität gerade jetzt?...Und in all dem das Gefühl: Ich muss ihm Folge leisten.!“

An Krankenbetten sind es bisweilen die nächsten Angehörigen, die fähig und berufen sind, still mitzugehen und stellvertretend durchzutragen.

Der Begriff „ Existentielles Mit-sein“ wurde von Benedetti geprägt und er versteht darunter eine Teil-Identifizierung“, bei der ein Therapeut Aspekte eines Leidens „in sein eigenes Erleben und seine Sprache übernimmt“, mitträgt und doch gleichzeitig überschreitet. Binswagner nennt es Tragung. Wirtz und Zöbeli betonen das dynamische Wechselspiel zwischen einfühlend-akzeptierender Nähe und abgrenzend-konfrontativer Technik.

Renz selbst ist sich sicher, dass es Momente des therapeutischen/seelsorglichen Einsatzes gibt, in denen ein Drittes , eine innere Führung wirkt.

„Ob ausgesprochen oder nicht, ist es für mich wichtig, Erfolg und Scheitern weiterzuleiten an ein Drittes. Nur so können sich Helfer davor schützen eines Tages im Scheitern nur dumm und im Erfolg größenwahnsinnig dazustehen. Die Gefahr der Inflation, der Grenzverwischung in Richtung eines göttlichen Heilers, ist an dieser Nahtstelle groß.“ (S.87)

Spiritualität und Gegenwart

Spirituelle Erfahrungen ereignen sich im Hier und Jetzt. Nicht besetzt von Vergangenem und nicht verplant von Zukünftigem oder Gewolltem, finden sie statt, wo wir leibhaft und im Wesen gesammelt einfach „sind“. Nur in der Gegenwart sind wir wirklich offen auf das Du hin. Festgelegte Erwartungen, Lasten aus der Vergangenheit, Fixierungen auf irgendein Menschen- oder Gottesbild, verstellen das, was gerade sein könnte. Mit Atem- und Entspannungsübungen versucht Renz Patienten immer wieder in diese Gegenwart zu geleiten und in dieser Gegenwart zu verweilen. „Beten geht nicht mehr, aber das geht noch“

Schuld und Spiritualität

Aus einer Überbetung der menschlichen Schuldhaftigkeit und eines von der Kirche aufoktroyierten Schuldbewusstseins wurde Überdruss, übermäßige Abwehr und peinliches Bagatellisieren von Schuld.

Was hat Schuld mit Spiritualität zu tun?

Es gibt eine nicht angeschaute Schuld, die uns von unserem Inneren trennt und spirituelle Erfahrung blockiert. Es gibt aber auch eine Spiritualität der Beziehung, in welcher der Mensch einem Unbedingten gegenübersteht als der, der er ist: mit seinen Verdiensten und seiner Schuld, seiner Farbe und seiner Farblosigkeit.

Renz weist daraufhin, dass sie dem Thema Schuld im Laufe ihres Projektes in großer Widersprüchlichkeit und Unterschiedlichkeit begegnete: Verbrecher und Patienten mit quälenden Gewissensnöten ohne wirkliche Schuld, Tränen der Reue und Sehnsucht nach Verzeihung neben leichtsinnigem Darüber-hinweg-schwadronieren über wirklich Ungutes, Opferbiografien neben Täterbiografien und beides in einem, suggerierte Schuldgefühle neben echter Schuld. Und es ist offenbar: Die Schuldfrage polarisiert, provoziert, mobilisiert.(vgl. S.90)

freimachende Wahrheit

Frau Renz hat im Kantonsspital ca. 250 Sterbende begleitet; viele von ihnen, so schreibt sie, fanden auf geheimnisvolle innere Weise zum Frieden mit sich selbst und Leben, manche wissend um ihre Schuld, die andern in bleibender Unbewusstheit.

„Wo aber Schuld verborgen drängt, erlebe ich immer wieder, dass Menschen diese vor dem Sterben, wenn nicht verbal, so auf symbolische Weise bezeugen“ (91)

(z.B. Dreck aus der Wohnung schaffen). Wieder andere können einfach nicht sterben, bis ihre Schuld mindestens teilweise angesprochen ist und Verzeihung irgendwie im Raum steht.

Die Erfahrung mit Sterbenden führt Renz zur Überzeugung, dass genau jetzt die Chance wiederkommt, Schuld ohne Folgen der Ächtung an sich herankommen zu lassen und das Recht in sich zu aktivieren, noch einmal an einen Menschen und sein gutes Sterben zu glauben. Im Heiligtum der Seele wohnt Gott selbst. Und Anselm Grün zitierend:

„´Dort ist er ganz heil, dort ist er frei von allen menschlichen Erwartungen und Bedrängnissen, und dort ist er auch frei von der eigenen Schuld. Denn an diesem Ort hat die Schuld keinen Platz, da hat die Selbstverurteilung und Selbstzerstörung keinen Zutritt, da ist er wahrhaft erlöst, heil und ganz.`“ (Biblische Bilder von Erlösung, S.77)

Renz findet diese Glaubenswahrheit in ihrem Projekt bestätigt:

„Keiner, der zu fühlen wagte und irgendwie offen war, fiel aus der Grunderfahrung eines letzten Erlaubt-Seins heraus.“ (93)

Die Wahrheit eines Menschen ist größer als seine Schuld und sie gründet tiefer.

Schuldfähigkeit

Und: Schuldfähigkeit macht frei. Und manche von denen, die ins Leben zurückkehrten, fanden zur Entscheidung: So kann es mit mir nicht weitergehen. Wonach drängte es in diesen Menschen? Es schien die Sehnsucht nach echterem und versöhnterem Dasein wachgerufen.

Die Schuld eines Menschen ist Teil seiner Wahrheit und die Bewusstwerdung des eigenen Schuldanteils macht frei vom Vertuschen oder Rechtfertigen-müssen. Ziel eines Reifungsweges ist nicht Schuldlosigkeit, sondern Schuldfähigkeit.

Der schuldfähige Mensch weiß um seine Anfälligkeiten und ist immer neu bereit, sich seinem Schattenpotential zu stellen. Schuldfähigkeit ist Ausdruck von Persönlichkeit und verbunden mit Sinn für Verantwortung und unterscheidet sich von einem kindlichem Über-ich-gewissen mit seinem zwanghaften Eifer zum Perfekten.

Schuld als Bewältigungsmuster

Die Medizin und Psychoonkologie begegnet der Schuldfrage häufig im Zusammenhang mit der Diagnose Krebs. (z.B. als Selbstvorwurf: „Bin ich selbst schuld am Krebs, habe ich zu ungesund gelebt?“ oder als Schuldzuweisung: „Der Ex-Mann ist schuld, dass unsere Tochter Krebs hat..“) Bei Schicksalsschlägen ist die Schuldfrage allgegenwärtig: Kaum jemand, der sie nicht stellt und die manchmal in einen Vorwurf an Gott und die Theodizeefrage („Wie kann ein guter Gott meine Krankheit zulassen? )mündet.

Warum steht sofort die Schuldfrage im Raum, wenn es Menschen schlecht geht?

Die Bereitschaft sich schuldig zu fühlen, hat tief verdrängte und irrationale Wurzeln. Schuld steht als Problem an, wo wir kausal, in Ursache und Wirkung denken. Eine Ohnmachtssituation ist vermeintlich halb so schlimm, wenn man einen Täter/Schuldigen ausmachen kann. Schuldige werden instinktiv auch dort gesucht, wo die Schuldfrage nicht angebracht ist, bei Behinderung, Schicksalsschlägen und schwerer Krankheit. Wo für ein Pech kein real Schuldiger ausgemacht werden kann, schreibt sich der leidende die Schuld instinktiv selbst zu. Dies ist ein ur-alter Mechanismus, ein Reaktionsmuster aus den Anfängen der Bewusstseinsentwicklung, bei dem das namenlos Schreckliche einen Namen bekommt und damit erträglicher zu werden scheint. In fast magischem Schulddenken verhaftet sind Menschen mit einer kindlichen Überich-Moral oder einem von der Kirche geprägten rigiden Gewissen: „Entweder ist der Arzt schuld oder Gott oder ich.“ (so ein Patient)

Womöglich liegen die tiefsten Wurzeln von Schuldgefühlen an der unterbrochenen Beziehung zu Gott?

Differenz zwischen Schuld und Schuldgefühl

Es gibt Schuldgefühle, wo keine echte Schuld ist. Und umgekehrt wirkliche Schuld, die nicht als solche gefühlt wird.

Renz frägt: Wie ernst muss ich Schuldgefühle von Patienten nehmen? Wo ist es angezeigt der Fährte der Schuldgefühle zu folgen? Im voraus kann man nie wissen, ob echte Schuld darin ist oder ob das Schuldgefühl des Patienten fehl am Platz ist. Im gemeinsamen, körpernahen Herantasten kann sich zeigen , was echte Schuld sein kann. Renz gibt dafür zwei eindrückliche Beispiele. Schuld hat immer mit der eigenen Wahrheit zu tun, dem ureigenen Wesen und ist darum immer sehr persönlich und intim; Intimität zwischen dem Ich und einer letzten Instanz.

Manchmal will jemand einfach nicht hinhorchen. Auch mangelnder Ernst, mangelnde Bereitschaft zur Reifung, eine nicht gelebte Berufung können bewirken, dass das Wesentliche im Menschen verdorrt, was dann zur eigentlichen Schuld werden kann; auch mangelnde Bewusstheit gegenüber dem Leiden der Welt, der eigenen Autoritätsgläubigkeit ... kann zur Schuld werden.

Schuld und Prägung

Was für die Theologie Sünde ist, ist für die Psychotherapie häufig uralte Prägung und Tragik. Renz weist auf die fast unauslöschlichen Prägungen und Traumatisierungen von Frühstörungen und Gewaltopfern.

„Es gibt Menschen, die nicht wollen können, nicht fühlen, nicht handeln, nicht sich beherrschen etc. ... und das ist nicht primär Sünde, trotzige Verhärtung oder Abkapselung von Gott, sondern Not und dahinter eine äußerste unfassbare Angst.“ (S.103)

Die Erfahrung von Vergebung, die es auch gibt - durch Prozesse hindurch - ist Frucht eines spirituellen Geschehens zwischen dem Menschen und seinem Gott.

Spiritualität als energetisches Geschehen

Das Spirituelle geschieht. Spirituelle Erfahrungen finden statt oder nicht. Die Wirkkraft dahinter bleibt unverfügbar und geheimnisvoll sich selbst. Spiritualität ist ein zutiefst energetisches Geschehen. Spiritualität ist Nähe zu einer grenzenlosen energetischen Wirklichkeit: Lebens- und Liebeskraft schlechthin, Macht schlechthin, Energie des Ewigen, die alle im menschlichen gebundene und begrenzte Macht begründet und überdauert.

Spirituelle Erfahrungen sind oft schwer vereinbar mit der nüchternen und harten Realität. Umso wichtiger wird der Realitätsbezug. Renz weist darauf hin, das spirituelle Energien ohne Erdung und Realitäts-/Alltagsbezug zum entmündigenden Sog werden kann, der statt frei zu machen in Sucht und Zwang ausartet. „Eingesogen ins Irrationale, gerät dann ein bedrängtes Ich in eine Dynamik des Unheilvollen.“

Geist ist Macht - Ringen mit Gott statt Machtkampf

Weil Spiritualität mit der Macht schlechthin in Berührung bringt, sind Machtkämpfe hier besonders ausgeprägt, gerade bei Menschen in der Spannung zwischen Verzweiflung und Einwilligung; denn hier ist der Ort, wo sich die Geister scheiden.

Hier gilt es zu unterscheiden lernen zwischen einem gesunden Ringen mit Gott und dem eigentlichen Machtkampf. „Warum trifft der Schicksalsschlag genau mich, wo ich mich doch so für Gott engagiere? “Gerade religiöse Menschen können an Gott irre werden, geraten in spirituelle Krisen, erleben das Schweigen Gottes, erleben sich von Gott und der Welt betrogen und verhöhnt.

Wie sich aus solchen Krisen herausretten, ohne destruktiv bis selbstzerstörerisch zu werden?

Wie in solchen Momenten begleiten?

Für Renz besteht die wesentliche therapeutische Aufgabe darin, der Wut Raum zu geben und doch zu unterscheiden zwischen Beziehung und Machtkampf. Ringen mit Gott ist eine Form von Gebet. Es gibt eine Möglichkeit mit Gott zu ringen, was nicht vorschnell in „Dein Wille geschehe“ münden muss, , gesunde Reaktion auf dem Weg der Einwilligung ins Unausweichliche. Manchmal muss die Kraft zum Ringen , die Wut auf Gott erst aus der Lethargie befreit werden. Es geht um Motivation zum biblischen Jakobskampf: „Ich lasse dich nicht los, es sei denn, du hast mich gesegnet.“ (Gen32,23-33) Die Energie der Wut muss häufig erst aus dem Gefängnis moralischer Tabus befreit werden. Verdrängen macht müde, Wut zulassen heißt einen inneren Prozess in Gang bringen.

Ringen ist heilsam im Unterschied zum Machtkampf, der das Gegenteil von Beziehung ausdrückt. Das verletzte Ich verbarrikadiert sich in stolzem Trotz und schleudert Gott sein Nein zur Beziehung entgegen: „Gott lohnt sich nicht.“

Geistkampf

Am Tiefpunkt des Leidens (nach Schicksalsschlägen und nicht erfahrenem Glück) ist die Versuchung zum Ungeist groß. Schon zu Zeiten der Bibel holten Geistkämpfe und Versuchungen den Menschen in der Wüste ein. Auch heute finden Geistkämpfe statt.

Der Körper von Patienten bietet dabei manchmal die Szenerie solchen Kampfes zwischen Ja und Nein, Einordnung in ein größeres Gesetz oder Verweigerung. Zwischen nein und ja liegt die Arena des Geistkampfes. Renz verweist auf ihre Erfahrung mit dem kleinen Wort Ja.

Was sich hier abspielt, wer der eigentliche Gegner ist, begreifen wir nie. Die geistige Not, in der sich manche Menschen befinden, wird so auch von den wenigsten wahrgenommen. Die Psychologie scheut sich von der Kraft des Bösen zu sprechen, die Psychologie ordnet solche Phänomene ins Pathologische ein. Renz ist sich jedoch sicher, dass sie dem Phänomen des Ungeistes als energetische Realität und letztlich lebensverneinender Kraft allenthalben begegnet.

„Es ist, als wirke etwas aus einer individuell oder kollektiv verschatteten Position heraus, und hole uns genau dort ein, wo wir in Not sind. Menschen fühlen sich umgetrieben, wie verstört.“ (S.112)

In diesem geistigen Kampf, so Renz, gibt es so etwas wie Sieg erst durch die menschliche Kapitulation hindurch und inmitten von Ohnmacht. Das Phänomen Geistkampf ist Teil von Übergangs- und Grenzbefindlichkeiten, aber zugleich lebenslängliches Thema und Zumutung. Gerade Menschen mit frühen Störungen und durch Schicksalsschläge Traumatisierte/Gewaltopfer tragen so ein autonom gewordenes Nein in sich, eine Eigendynamik des Trotzes oder Stolzes, ein verinnerlichtes Böses. Menschen mit solchen Prägungen sind wie von einem ständigen Kampf umgeben, alte Muster laufen immer wieder neu ab und werden zur Anfrage.

Wie frei werden von etwas, das man weder begreifen noch greifen kann?

Renz hat einen doppelten Ansatz:

„Gerade weil entstanden aus Prägung, versuche ich das verletzte innere Kind oder den hilfsbedürftigen Teil im Patienten zu verstehen. Diesem Teil muss ich gut gesinnt sein und bleiben. Zugleich muss ich dem Ausagieren im Bösen (auch dem atmosphärisch destruktiven um mich herum) und dem sich hartnäckig Verweigernden eine klare Absage erteilen und hierzu meinerseits immer wieder bei mir und meiner eigenen inneren Klarheit ankommen.“ (113)

In Situationen des Geistkampfes geraten Patienten leicht in Panik und Schreckensszenarien. Sie schreien und wollen davonrennen. Hier können die Riten und Rituale der Kirche helfen und beruhigen: Krankensalbung, Lossprechung, Segnung, Salbung, Kommunion, Schutzzeichen, über die auch religiös skeptische Menschen angerührt werden.

Dadurch machen Menschen die Erfahrung und bekommen den entscheidenden Glauben vermittelt, dass es etwas gibt, das stärker ist als das Böse.

Offene Fragen

Trotzdem bleiben viele Frage (in solchen Geistkampfsituationen) auch für Renz offen:

  • Wo ist Solidarität das Richtige, wo Abgrenzung?
  • Wie kann ich mit dem Leidenden mitfühlen und mich gleichzeitig vom Destruktiven abgrenzen?
  • Was ist Wahn? Was mehr?
  • Wo bedarf es eines Zeichens, eines Gebetes? Wo helfen klare Worte der Sachlichkeit?
  • Wie finde ich zur eigenen Sicherheit?
  • Wie befreie ich mich selbst aus dem Bann solcher Erfahrungen?

Fazit von Monika Renz:

„Meine Arbeit im Grenzbereich ist Arbeit an der Front akuter Not und bewegt sich zwischen Versuch, Irrtum und Reflexion.“ (118)

(Text von Gustav Schädlich-Buter)