Spiritualität von unten

(Dieser Text orientiert sich an: A.Grün, Meinrad Dufner, Spiritualität von unten, Münsterschwarzach 1994, S.75)

In unserer Zeit wird viel von Spiritualität geredet. Spiritualität scheint inzwischen ein Modewort, mit welchem der ansonsten vielfach gehetzte Zeitgenosse Ruhe, Wellness und Entspannung verbindet.

Ist damit der Begriff Spiritualität ausreichend beschrieben?

Was ist mit Spiritualität eigentlich gemeint?

Die Geschichte der Spiritualität kennt zwei Strömungen: es gibt eine „Spiritualität von oben“. Sie setzt bei den Idealen an und entspringt der Sehnsucht durch Gebet, Askese, Anstrengung und Meditation immer besser zu werden (als Mensch, als Christ, in seiner moralischen Haltung etc.) und nach oben zu Gott aufzusteigen. Häufig werden dabei die diesen Idealen nicht entsprechende Seiten verdrängt und in das Dunkel des Unbewussten geschoben. Die Psychologie weist auf die krankmachenden Seiten einer solchen Spiritualität hin.

Die „Spiritualität von unten“ setzt ganz anders an. Sie ist eher mit einem Abstieg vergleichbar und sagt: Gott ist gerade dort zu entdecken, wo wir am Ende unserer eigenen Möglichkeiten angekommen sind. Dort, wo wir gescheitert sind mit all unseren Bemühungen und Tugenden, wo wir aus eigener Kraft nicht weiter kommen und im Elend sitzen, dort werden wir offen für einen Beziehung mit Gott. Dort führt die Erfahrung des Scheiterns und der Ohnmacht zum Gebet, zum „Schrei aus der Tiefe“.

Diese Art der Spiritualität hat viel zu tun mit dem Zwölf-Schritte-Programm der Anonymen Alkoholiker. Bereits beim ersten Treffen zeigen sich die dort Anwesenden in ihrer Verwundung: „ Ich heiße Hans und bin Alkoholiker“. Die Erfahrung der eigenen Ohnmacht, das Eingeständnis der eigenen Schwäche, ist auch der Ausgangspunkt einer „Spiritualität von unten.“ Das Zeigen der eigenen Wunde fällt Männern besonders schwer, weil sie sich gern in ihren Erfolgen, ihrer Überlegenheit und ihrer Großartigkeit darstellen. Solches Verhalten mag zwar das Ego stärken, aber es trägt nichts dazu bei in einem spirituellen Sinn zu wachsen.

Die Spiritualität von unten verlangt dagegen, dass ich mich meiner eigenen Realität stelle, meinen Schattenseiten ins Auge schaue und in die Abgründe der eigenen Seele hinuntersteige.

Versagen und Scheitern sind auf dem spirituellen Weg die meist sehr viel besseren Lehrmeister und Erzieher als geistliche Erfolge, die oftmals nur das eigene Ego stärken. Den Ansatz einer Spiritualität von unten finden wir auch in Märchenerzählungen; in Frau Holle z.B. wird deutlich, dass dort, wo wir im Leben in eine aussichtslose Not kommen,- und uns alle Willensanstrengung oder Anpassung nicht weiterhilft-, es helfen kann, sich in die Tiefe loszulassen und sich Gott anzuvertrauen. Dort in der Tiefe werden neue Einsichten geschenkt oder der bislang verborgene Schatz gefunden. Umgekehrt würde noch mehr Kampf, noch mehr guter Wille nur die Drangsal und Aussichtlosigkeit vermehren.

Das Scheitern und die Verzweiflung führen mich den Weg nach unten. Sie führen zur Einsicht, dass Kämpfen und Weiterkämpfen sinnlos ist, dass sich nichts mehr unter Kontrolle bringen lässt und nur noch das Kapitulieren bleibt. In solcher Kapitulation geschieht nicht selten die Öffnung des eigenen Ego`s auf ein Größeres hin oder wie es im zwölf Schritte Programm der AA – ein zutiefst spirituelles Programm- ausgedrückt wird: „Wir legen die Waffen beiseite und kommen zum Glauben, dass eine Macht größer als wir selbst, uns helfen kann, und wir entschließen uns, unser wirkliches Leben der Sorge Gottes- wie auch immer- anzuvertrauen.“ (vgl. Johanna Domek, Metanoia, S.50)

Für Grün und Dufner ist auch die Krankheit eine Chance für Gott aufzubrechen und den inneren Schatz zu entdecken. Nicht selten führt das Erleben von Sinnlosigkeit und Trauer angesichts verlorener Gesundheit zur Aufgabe aller Eigenmächtigkeit und zur echten Hingabe an Gott.

„Ich muss …durch die Krankheit hindurch mich nach Gott ausstrecken, der das wahre und tiefste Heil für Leib und Seele ist.“ (A.Grün, Meinrad Dufner, Spiritualität von unten, Münsterschwarzach 1994, S.75)

„Spiritualität von unten“ setzt bei den Erfahrungen der Grenze (des Scheiterns, der Ohnmacht, des Verlustes, der Niederlage, der Krankheit, der Verwundung…) an und sieht in den Grenzsituationen, die zu einer Ergebenheit in Gott führen, das Wirken des Heiligen Geistes. Dort wo das eigene Ego aufbricht, hat Gott eine Chance zu uns durchzudringen. Seine Kraft kann auch in einem zerschlagenen Herzen alles neu übernehmen und neu machen.

(Literaturempfehlung zum ganzen Artikel: A.Grün, Meinrad Dufner, Spiritualität von unten, Münsterschwarzach 1994)

(Text von Gustav Schädlich-Buter)