Sucht

Früher haben begrenzte Ressourcen, Anforderungen von Familie und Eltern, Zwänge von Religion und Gesellschaft, das private Ich in seine Grenzen verwiesen. Die Grenzen sind heute, in der westlichen Welt zumindest, weitgehend aufgehoben; dies hat einerseits zu großen individuellen Spielräumen geführt, andererseits aber eine suchtabhängige Gesellschaft produziert, die sich über Äußerlichkeiten und Oberflächlichkeiten definiert. Menschen werden zu Gefangenen des Konsums. „Kaufen bis zum Umfallen“ lautet ein gängiges Motto.

Sucht ist alltäglich geworden und sie durchdringt, wenn wir ehrlich sind, nahezu jedes menschliche Wesen. Dabei gibt es viele Erscheinungsbilder der Sucht: Drogensucht, Alkoholismus, Nikotinsucht, Koffeinsucht, Esssucht, Arbeitssucht, Sucht nach Stress, Sexsucht, Spielsucht, das Sammeln von Geld ... Manche Süchte wirken sich schlimmer und zerstörerischer aus als andere. Aber der Psychiater Gerald May weist darauf hin, dass bei allen Süchten letztlich die gleichen neurologischen, psychologischen und geistigen Mechanismen am Werk sind. Gleich, ob es sich um stoffliche Süchte wie Alkohol oder Drogen handelt oder ob wir bestimmten Idealen anhängen, an bestimmte Selbstbilder gebunden sind, Macht anstreben, Arbeit oder Beziehungen nachjagen oder von Fantasien und Bestätigung abhängig sind; unsere Gehirnzellen passen sich dem Strom der Reizüberflutung an und spirituelle Befreiung wird dort gesucht, wo Gott nicht ist.

Aber: alle Süchte beeinträchtigen die menschliche Freiheit und nehmen uns etwas von unserer Menschenwürde. Sucht missbraucht unsere Freiheit und veranlasst uns zu tun, was wir eigentlich nicht wollen. Die Sehnsucht nach Gott, die Energie im Innersten unseres Herzens, der Hunger nach Liebe wird gebunden und gefangen gehalten durch die Sucht, die dieses heilige Verlangen festnagelt. Liegt wirklich Sucht vor, dann ist unsere Freiheit beeinträchtigt, unser Verlangen nach Gott betäubt und Toleranzprobleme, Entzugserscheinungen, Willenlosigkeit und gestörte Aufmerksamkeit sind die Folgen.

Die geistliche Tradition bezeichnet solch süchtiges Gebundensein in der englischen Sprache mit „attachment“, was soviel wie „Angenagelt“ oder „Verhaftet-sein“ bedeutet. Unser innerstes Verlangen und Wollen wird an bestimmte Objekte „genagelt“. Sucht kettet unser Wollen und Verhalten an bestimmte Gegenstände, Stoffe, Ideen und Menschen.

Die geistliche Tradition der christlichen Wüstenväter z.B. hat sich um die Gegenbewegung bemüht: Loslösung, Widerstand, das heilige Nein, Vertrauen auf die Gnade und Gelassenheit (als Nicht-Gebundenheit/detachment) sind integrale Bestandteile jeder geistliche Lebensreise, die uns aus der Knechtschaft befreien, unser ursprüngliches Verlangen nach Gott wieder freilegen und uns zur Heimkehr auffordern.

Impuls

  • Durch was in meinem Leben bin ich verhaftet und süchtig gebunden? (nur hinschauen, nicht werten)

Literatur

  • Gerald May, Sehnsucht, Sucht und Gnade, Aus der Abhängigkeit zur Freiheit, München 1993

(Text von Gustav Schädlich-Buter)