Umkehr

„Kehrt um! Denn das Himmelreich ist nahe.“ (Mt 4,17)

Drei Evangelisten beginnen Jesu öffentliches Wirken mit dem Ruf zur Umkehr (vgl. Mk 1,15; Lk4, 16-30). Auch der Apostel Paulus mahnt seine Gemeinden: „Gleicht euch nicht dieser Welt an, sondern wandelt euch und erneuert euer Denken, damit ihr prüfen und erkennen könnt, was der Wille Gottes ist: was ihm gefällt, was gut und vollkommen ist.“

„Welt“, von der es sich zu bekehren gilt, ist für Paulus vielfach der Inbegriff von geistiger Finsternis und Gegenbegriff zum Leben aus dem Geist Christi: Gefangensein im „Fleisch“ (vgl. Gal 5,19 f.), Festsitzen in Gier, Egoismus, Hass, Neid und irdisch-materiellen Süchten, Beherrscht-werden von selbstgefälligem Machtstreben, Ehrgeiz, Lüge und Ruhmsucht. Paulus will, dass der seelische und geistige Tod keine Macht mehr über den Christen hat und so fordert er seine Gemeinde in Ephesus auf:

„Legt den alten Menschen ab, der in Verblendung und Begierde zugrunde geht, ändert euer früheres Leben und erneuert euren Geist und Sinn! Zieht den neuen Menschen an, der nach dem Bilde Gottes geschaffen ist in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit.“ (Eph 4,22 f.)

Manche Leser der Paulusbriefe, vielfach jene, die sich sowieso schon einem hohen moralischen Anspruch ausgesetzt haben, spüren in dessen Worten den Druck, sich gewaltsam verändern und bekehren zu müssen; einige fragen: „Ist denn gar nichts an mir so wie ich bin, recht und gut? Strenge ich mich nicht schon genug an, um recht zu leben?“ Paulus ist von der väterlichen Sorge um seine Gemeinden angetrieben. Auch wenn Paulus das aktive Element des leib-geistig-seelischen Wandlungsprozesses sehr betont , also das, was ich selbst tun kann und wozu ich mich entscheiden kann, weiß er, dass es im letzten der Geist Jesu Christi ist, der Menschen verwandelt.

Ein anderen Weg lässt sich im Johannesevangelium entdecken; dort fehlt ein Aufruf Jesu zur Umkehr vollständig; Jesus lädt jene Menschen, die sich für ihn interessieren, einfach ein: „Komm und seht“ (Joh 1, 39) Jesus beruft Menschen, indem er sie zum Schauen einlädt. Die Augen sollen aufgetan werden für die Herrlichkeit Gottes, die durch das „Wort“ (Logos) schon da ist in dieser unserer Welt . „Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt und wir haben seine Herrlichkeit geschaut ...“ (Joh 1,14) . Die Augen auftun für die Herrlichkeit Gottes (griech. doxa)wird von manchen Autoren treffend mit „Lichtwucht“ (Bernardin Schellenberger) übersetzt. Von dieser „Lichtwucht“ sollen wir unser Leben treffen lassen, sie ist fähig unsere oberflächliche Kurzsichtigkeit aufzubrechen.

Im Evangelium geht es also nicht um ein oberflächliches, gegenständliche Sehen, auch nicht um das ästhetische Sehen der Schönheit der Natur. Es geht es um das Wahrnehmen und Spüren einer geheimnisvollen Anwesenheit.

Es ist die Erfahrung, „Er“ ist da, „Er“ redet zu mir, ich kann „Ihn“ schauen auch in den Dingen und Ereignissen des Alltags oder der Natur. Ignatius von Loyola spricht davon, Gott in allen Dingen zu suchen.

Der Weg des Schauens wird auch von Paulus gewiesen: „Wir alle spiegeln mit enthülltem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn wider und werden so in sein eigenes Bild verwandelt ... durch den Geist des Herrn.“ (2 Kor 2,18) Indem wir auf Christus schauen, werden wir in sein Bild verwandelt. Sein heilkräftige Bild, in das wir uns hineinversenken, fängt an, sich in uns einzubilden. Indem wir auf Christus schauen, werden wir in sein Bild verwandelt, wir werden in das verwandelt, worauf wir schauen.

In der Kunst der Ostkirche ist das „An-gesicht“ ein zentrales und bestimmendes Motiv, das in der Ikonenmalerei der Ostkirche bewahrt wird. Im Anschauen der Ikone verwandelt sie mich. Das Bild Jesu Christi, das wir anschauen, verwandelt mich. Und: das Jesusbild bringt mich in Kontakt mit dem, für den er steht: den unsichtbaren Gott.

Impulse

  • Die Gesichter von Menschen, die mir heute begegnen, als „Ebenbild Gottes“ betrachten und wahrnehmen
  • Vor einer Christusikone still werden

Literatur

  • Bernardin Schellenberger, Im Glanz des göttlichen Lichts
    Orthodoxe Mystik: Geheimnis und Herausforderung, 2014

(Text von Gustav Schädlich-Buter)