Beten

(Dieser Text orientiert sich an B. Schellenberger, Auf den Wegen der Sehnsucht, Zum spirituellen Leben heute , Freiburg im Breisgau 2004 und an F.Steffensky, , Der Alltägliche Charme des Glaubens, Würzburg 2002, S.11-30)

Die christliche Theologie verwendet den Personbegriff, um begrifflich zu fassen, dass jemand über eine vollständige Identität nur dann verfügt, wenn sie sich von einem Gegenüber her bezieht. Das menschliche Ich ist daher weder Teil einer göttlichen Ursubstanz mit der es verschmilzt (Hinduismus), noch nichtige Illusion, die sich auflöst (Buddhismus). Vielmehr erhält das menschliche Ich nach christlicher Auffassung seine Bedeutung geschenkt, insofern es in Beziehung zum „Ganz-Anderen“ tritt. Der Atemstrom, der zwischen Schöpfer und Adam hin und hergeht - wie wir schon aus den ersten Sätzen der Bibel erfahren können - schenkt dem Menschen sein Leben und seine göttliche Würde.(„Von Gnaden dürfen wir werden, was Gott von Natur aus ist“) Ohne dieses Hin und Her der Worte, des Atemstromes, des Liebesaustausches ist das menschliche Ich durchaus nichtig (vgl. Buddhismus) und der Kosmos leer und bedeutungslos.

Nach christlicher Auffassung ist Gott kein stummer, sprachloser Gigant, keine einsame Monade, der aseptisch und selbstgenügsam in sich ruht, sondern auf Beziehung angelegt und angewiesen. Die Vorstellung, dass der gesamte Kosmos ein einziges in sich selbst verliebtes Ichsein, findet nicht nur K. Chesterton monströs. Der Grund der Dinge in biblischer Tradition ist Sprache und Wort, das ins Leben zieht, ist Verstehen und Gehör.

Ein personaler Gott, der uns anspricht und der von uns angesprochen werden möchte, wirkt sich auf die „christliche Frömmigkeitspraxis“ aus: im Hin und Her des Wortes, im Beten und Singen (der Psalmen), im Anschauen und „Sich -anschauen-lassen“ (vgl. die Ikonenmalerei), im immerwährenden Gebet (Herzens oder Jesusgebet) ...

Sich auf's Beten einlassen, heißt zunächst eingestehen, sich selbst nicht zu genügen und darauf zu verzichten, sein eigener „Liebhaber und Schönfinder“ (F. Steffensky) zu sein. Das Eingeständnis unvollkommen, bedürftig und angewiesen zu sein, gefällt weder „Narziss“ (vgl. Spir.2). noch dem autark und unabhängig bleiben wollenden Single. Interessanterweise korrespondiert das gegenwärtige gesellschaftliche Unbehagen von anderen abhängig zu sein (das in anderen Kulturen oder Gesellschaftsformen völlig unbekannt war) mit dem Ressentiment gegenüber einem Gott, auf dessen Gnade ich angewiesen sein soll. (vgl. dazu auch: B. Schellenberger, Auf den Wegen der Sehnsucht)

Betend verzichte ich auch darauf, mich über meine vorweisbaren Stärken, meine hervorragenden Leistungen, meine Erfolge und mein „Gut-sein“ zu definieren und zu rechtfertigen. Betend halte ich mich Gott hin mit allem, was ich gerade bin und was gerade ist: auch die Wunden, die Schuld, die Widersprüche, die Vergeblichkeiten, den „Aufschrei, den Schmerz angesichts von Ungerechtigkeit und Sinnlosigkeit; dabei verzichte ich auf krampfhafte Lösungs- und Sinngebungszwänge.

Betend lasse ich mich beschenken, lieben (und versuche wieder zu lieben) und „beatmen.“ Der Atem kommt ja vom lateinischen Begriff spiritus, wovon wiederum das Wort Spiritualität abgeleitet ist; der, der beatmet wird, wird aktiviert und inspiriert von Gottes „frischer Luft.(„Da formte Gott, der Herr, den Menschen aus Erde vom Ackerboden und blies in seine Nase den Lebensatem. So wurde der Mensch zu einem lebendigen Wesen.“ Gen 7) Betend weiß ich mich von dieser Beatmung abhängig, weil mein Leben sonst in sich zusammenfällt.

Im Gebet lasse ich Gott Gott sein - ich verzwecke und benütze „Ihn“ nicht, treibe keinen Handel mit „Ihm“, verzichte auf endlose schöne Worte, die mich nur selbst beweihräuchern - und halte mein Leben in den Blick seiner Güte und Barmherzigkeit. Wer gütig und barmherzig angeschaut wird, der wächst, blüht auf und wird dabei heil. Diese Form von Spiritualität ist auch einfachen Leuten zugänglich und vermittelbar (die komplizierte christliche Theologie läuft in der Praxis auf etwas ganz Einfaches hinaus)

Sich wehrlos „Anheimgeben“ an eine gütige und barmherzige Macht, das widerspricht dem „Macher“ in uns. Diese Haltung setzt voraus, sich selbst als bedürftig und angewiesen zu erleben. Im Herzens- oder Jesusgebet, das die Formel hat „Jesus Christus, Sohn Gottes, erbarme Dich meiner“ und mit dem Atem verbunden wird, wird Gott um sein Erbarmen angerufen, um dieses Erbarmen dann an andere weiterzugeben. Nicht „Ich“ (als Seelsorger- in, Mönch, Priester, Arzt, Sozialarbeiter oder was auch immer) verteile großzügig Erbarmen („Compassion“) und Mitleid an andere, sondern reiche weiter, was mir geschenkt wurde. Das Bewusstsein dieser Angewiesenheit verändert Haltung und Schwerpunkt des Betenden grundsätzlich. (vgl. dazu: B. Schellenberger, Auf den Wegen der Sehnsucht, Zum spirituellen Leben heute)

Das Gebet kann immer mehr in eine Haltung hineinwachsen, in der die Beziehung mit weniger Worten und Bildern auskommt. Aber auch das schweigende Gebet ist auf das Hören und Spüren der Gegenwart Gottes, auf Beziehung ausgerichtet. In der klassischen Tradition werden vier Stufen des Gebetes beschrieben: das mündliche, das diskursive, das affektive und das kontemplative Gebet; dabei braucht jede dieser vier Formen des Gebetes immer wieder begleitend die anderen drei, um lebendig zu bleiben. (vgl. ausführlicher dazu: B. Schellenberger, a.a.O. S.138 f.)

Aber auch dies ist nicht zu vergessen: ein personal und dialogisch verstandener Gott ist selbst bedürftig, sehnsüchtig und angewiesen: auf mein Wort, mein Gebet und meine Ansprache. Sein Wort, das er am Anfang spricht, will erhört werden und erwartet eine Antwort, er liebt und will geliebt werden. „Wenn du mich anblickst, werde ich schön, schön wie Riedgras unterm Tau ...“ Liebesgedichte wie das der Chilenin Mistral mit dem Titel „Scham“ drücken diese Liebesbeziehung am schönsten aus. (gefunden und zitiert in F. Steffensky, Der Alltägliche Charme des Glaubens, S 14) und lassen am meisten spüren, was mit christlicher Kontemplation gemeint ist.

(Text von Gustav Schädlich-Buter)