Konzept der Klinikseelsorge
1. Grundlagen und Tradition
Seelsorge führt ihr Selbstverständnis und ihre Praxis auf einen Auftrag zurück, den sie sich nicht selbst gegeben hat. Diesem Auftrag sind auch wir, die Seelsorgenden im Klinikum Großhadern, verpflichtet.
1.1. Biblisches Fundament
Gottes Wille, dass alle Menschen heil in einem umfassenden Sinn werden, begründet Seelsorge im theologischen Sinn. Gott bezeichnet sich selbst als „Ich bin da“ (Exodus 3,14) und gibt sich als der zu erkennen, der tröstet, wie eine Mutter tröstet (Jesaja 66,13). Jesus beauftragt die Jünger, „das Reich Gottes zu predigen und zu heilen“ (Lukas 9,2). Seelsorge hat darum ihren Grund in Gottes und Jesu bedingungsloser Zuwendung zu den Menschen, wie sie im Alten und im Neuen Testament berichtet wird, und im Vorbild des Heiligen Geistes als Beistand und Fürsprecher.
Eine wesentliche Aufgabe christlicher Seelsorge ist die Zuwendung zu den Kranken, gemäß dem Wort Jesu: „Ich bin krank gewesen und ihr habt mich besucht“ (Matthäus 25,36). Christliche Gemeinden praktizieren von frühester Zeit an Seelsorge und Fürsorge für Menschen in Not durch praktische Lebenshilfe (Apostelgeschichte 4,32ff), Gebet und Salbung (Jakobus 5,14). Daraus ergibt sich der Auftrag der Kirche zur Seelsorge auch im Krankenhaus.
1.2. Christliches Menschenbild und Ethik
Seelsorge ist unmittelbare Zuwendung zu einem Menschen in seiner jeweiligen, besonderen Lebenssituation. Der Mensch ist Gottes Ebenbild. Er ist Person und damit grundlegend als Einheit von Leib, Seele und Geist zu sehen. Von Geburt an bis zum Ende seines Lebens ist der Mensch soziales Wesen, angelegt auf interpersonale Akte und darauf angewiesen, als einmaliges Individuum geachtet und angesprochen zu werden. Zum Person-Sein gehört die Freiheit zu eigenen Entscheidungen und selbstverantwortlicher Lebensführung. Dazu gehört, dass jeder Mensch als autonomes Subjekt respektiert wird und Zugang zu allen notwendigen Informationen hat, um eigene Entscheidungen treffen zu können.
Seelsorge achtet die Einmaligkeit jedes einzelnen Lebens und die unveräußerliche Würde der Person unabhängig von Herkunft, Alter, Geschlecht, Hautfarbe, Religion, Weltanschauung, sexueller Orientierung sowie physischer und psychischer Verfassung. Wo es durch Krankheit, Not oder andere Umstände zu Beeinträchtigungen kommt, wird der Mensch deshalb nicht allein gelassen, sondern erfährt durch Interesse, Zuwendung und Beistand Vergewisserung seiner gültigen Würde als Person. So wird er der bleibenden Zuwendung Gottes versichert, biblisch formuliert: So erfährt er Segen.
Auf dieser Grundlage beteiligt sich die Seelsorge an ethisch relevanten Diskussions- und Entscheidungsprozessen innerhalb der Klinik. Diese können auf einzelne Patienten bezogen sein oder aber grundsätzliche inhaltliche und strukturelle Fragestellungen betreffen.
1.3. Kirchliche Verankerung
Seelsorge ist ein Wesensmerkmal von Kirche. Das Angebot seelsorglicher Begleitung steht allen Menschen offen, die es in Anspruch nehmen möchten.
Die Seelsorge im Klinikum ist ein Dienst der Kirchen im Krankenhaus. Die beiden großen Kirchen, die römisch-katholische und die evangelisch-lutherische Kirche beauftragen hauptamtliche Seelsorgende (Pfarrerinnen / Pfarrer, Pastoralreferentinnen / Pastoralreferenten u.a.) zu diesem Dienst.
Die Seelsorgenden gehören unterschiedlichen christlichen Konfessionen an und sind ihren Kirchen verpflichtet. Sie stehen damit außerhalb der Hierarchien der Institution Klinikum.
1.4. Rechtliche Grundlage
Das Grundrecht auf freie Ausübung der Religion (Art. 4 Abs. 1 Grundgesetz) bedeutet für unser seelsorgliches Handeln im Klinikum, dass wir Angebote machen, die von den Patienten, ihren Angehörigen oder den Mitarbeitern der Klinik in Anspruch genommen oder abgelehnt werden können (negative Religionsfreiheit). Wie sich der seelsorgliche Kontakt ausgestaltet, ist eine Sache der Absprache mit unseren Gesprächspartnern und kann sich im Verlauf verändern und modifizieren.
Aus der Religionsfreiheit ergibt sich umgekehrt, dass Seelsorge niemandem vorenthalten werden darf. Zur Würde der Person gehört auch, dass jeder den eigenen Glauben ausüben und praktizieren darf (positive Religionsfreiheit).
Daraus leitet die Seelsorge den Anspruch ab, vom Haus die nötigen Informationen und Zugang zu den Menschen zu erhalten. Dadurch ist sie arbeitsfähig und kann ihr Angebot machen. Seelsorge ist auf den Stationen und an sonstigen Brennpunkten des Hauses, sowie in den hausinternen Medien präsent.
2. Unser Seelsorgeverständnis
In Zeiten von Belastung, Krise und Krankheit gerät oftmals der Lebensfluss eines Menschen ins Stocken, auch der spirituelle.
Wir versuchen mit den Patientinnen und Patienten, deren Angehörigen sowie den Mitarbeitenden zu entdecken, was ihr Leben trägt, kräftigt und erfreut, damit sie auch unter veränderten Bedingungen leben können. Dies geschieht in Gespräch, Begleitung und Begegnung. Die Suche nach Kraftquellen und im Mit-Dasein die unabwendbaren Situationen auszuhalten ist für uns spirituelle Begleitung. Darin besteht unsere Aufgabe innerhalb des Systems Krankenhaus.
Die Seelsorgenden achten die Spiritualität, Religiosität und den persönlichen Glauben des einzelnen. Wir versuchen diese nach Möglichkeit zu stützen und zu stärken. Dabei bringt jeder Seelsorgende auf seine persönliche Weise die eigene christliche Spiritualität ein.
3. Aufgabe
Seelsorge hat den Menschen im Blick. Wir Seelsorgende begegnen deshalb den Menschen in diesem Haus mit grundsätzlichem Interesse und ebensolcher Offenheit für ihre Fragen, Probleme und Bedürfnisse.
3.1. Besuch auf den Stationen
Die Verantwortung für die Seelsorge auf den Stationen ist Grundlage und Ausgangspunkt unserer Krankenhausseelsorge.
Für jede Station im Haus ist ein Seelsorgender zuständig. Dieser ist regelmäßig auf Station präsent. Unser Angebot gilt allen Patientinnen und Patienten, unabhängig von ihrer religiösen Zugehörigkeit oder Weltanschauung, aber auch den Angehörigen. Neben Besuchen am Krankenbett, Gespräch und Beratung nehmen wir den Wunsch nach einer rituellen Begleitung wahr – in Form von Gebet, Taufe, Krankensegen, Krankenkommunion, Abendmahl, Krankensalbung, Beichte, Verabschiedung und Aussegnung. Zusammen mit den Betroffenen suchen wir nach individuellen und situationsbedingten Formen der Begleitung.
Wir begleiten Patienten und Patientinnen, wenn ihr Leben zu Ende geht und sind gerade in dieser Situation für Angehörige und das Stationspersonal da.
Wir pflegen Rituale als wesentliche Ausdrucksform unserer Seelsorge im Sinn leiblicher Erfahrbarkeit des Unsagbaren und werden sie weiterentwickeln.
3.2. Seelsorge und organisatorische Zusammenarbeit im System Klinikum
Unser Auftrag ist Krankenhausseelsorge.
Wir nehmen die Entwicklungen des Systems Klinikum als Realität wahr, bringen unsere Sichtweisen und Kompetenzen ein und begreifen dies als Chance für unser eigenes Profil.
Wir verstehen uns auch als Ansprechpartner für die Mitarbeitenden, insbesondere bei Fragen und Problemen, die sich aus der spezifischen Tätigkeit im Klinikum ergeben. Dies geschieht durch individuelle Gespräche und durch kontinuierliche Kontakte auf struktureller Ebene in jährlichen Gesprächen mit der Klinikleitung, der Verwaltung, dem Pflegedienst, der Sozialberatung und gegebenenfalls weiteren Abteilungen des Klinikums.
In diesem Zusammenhang bemühen wir uns, unser Selbstverständnis und unsere Arbeit nach außen transparent zu gestalten. Dies erfolgt durch die Präsenz in den klinikinternen Medien, durch Vorträge, Fort- und Weiterbildungsangebote, Teilnahme an Symposien, Kongressen und Diskussionsrunden und bei der Beteiligung bei der Einführung neuer Mitarbeitenden.
Wir planen mit der Direktion die Gedenkfeiern für Verstorbene und führen diese gemeinsam durch.
3.3. Erreichbarkeit rund um die Uhr
Die Seelsorge ist an allen Tagen im Jahr rund um die Uhr erreichbar. Dieser kontinuierliche Bereitschaftsdienst ist ein zentrales Instrument unserer Arbeit.
3.4. Kirchenzentrum und Gottesdienste
Offenheit und generelle Erreichbarkeit wird auch durch unser Kirchenzentrum sichtbar. Die Kirche (Besucherstraße, Würfel KL) ist für jeden jederzeit zugänglich. Sie eröffnet einen Raum der Stille und des Gebetes. Hier wird zusammen mit allen, die daran teilnehmen wollen (auch über Radio und Fernsehen), regelmäßig Gottesdienst gefeiert. Die Sakramentskapelle ist tagsüber geöffnet. Dort liegt auch das Fürbittbuch aus.
Neben der Klinikkirche befinden sich die Büro- und Gruppenräume des Seelsorgezentrums.
3.5. Lehre
Ein Schwerpunkt ist, auf welche (spirituellen) Ressourcen Menschen in diesen Situationen zurückgreifen und wie diese für den Heilungsprozess nutzbar gemacht werden können, wobei Heilung und körperliche Gesundheit nicht unbedingt das Gleiche meinen.
Dieser Themenkomplex kommt auch in der Lehre zum Tragen:
- in regelmäßigen Seminaren und Kursen für Seelsorgeaus- und weiterbildung;
- in der kontinuierlichen pastoralpsychologischen Reflexion;
- in Lehrveranstaltungen der Universität und der beruflichen Bildung der medizinischen Assistenzberufe;
- in der Fort- und Weiterbildung Pflegender;
- in der Krankenpflegeschule;
- in der aktiven Teilnahme an Veranstaltung von Kongressen, Tagungen und Seminaren.
3.6. Forschung
In einem Universitätsklinikum, das sich im Besonderen der Forschung und Lehre verpflichtet weiß, unterstützt die Seelsorge das Interesse an Forschung und Lehre, um immer besser und genauer die Bedingungen kennen zu lernen, wie Kommunikation geschieht und gelingen kann, gerade auch mit Menschen, die sich in einer Grenzsituation befinden.
4. Arbeitsweise und Zusammenarbeit
4.1. Ökumenische Ausrichtung
Die Seelsorgenden im Klinikum Großhadern arbeiten ökumenisch zusammen. Der konfessionsübergreifende Charakter der Seelsorge kommt insbesondere zum Ausdruck:
- im ökumenischen Team der Hauptamtlichen, in dem alle wesentlichen inhaltlichen, organisatorischen und strukturellen Fragen gemeinsam beraten und entschieden werden;
- in der Verantwortung für die Seelsorge auf den einzelnen Stationen, die jeweils feste Ansprechpartner haben, unabhängig von deren Konfessionszugehörigkeit;
im ökumenischen Bereitschaftsdienst; - in der Erarbeitung gemeinsamer inhaltlicher und methodischer Standards der Seelsorge, in der Sicherung von Qualität sowie in gemeinsamer Fort- und Weiterbildung, Reflexion und Evaluation;
- in der gemeinsamen Vertretung unserer Arbeit und Anliegen innerhalb der Klinik und nach außen;
in den Gottesdiensten, die in ökumenischer Offenheit und, insbesondere an den hohen Festtagen, in ökumenischer Verbundenheit gefeiert werden; - in der gemeinsamen Nutzung und Gestaltung der Räume des Seelsorgezentrums, vor allem der Kirche als einem besonderen Ausdrucksort des Glaubens und der Hoffnung inmitten der Klinik;
- in der Offenheit für die spirituellen Bedürfnisse von Menschen anderer kultureller und religiöser Herkunft. Bei Bedarf vermitteln wir entsprechende Ansprechpartner.
- Ehrenamtliche Mitarbeitende
Neben dem Team der evangelischen und katholischen Hauptamtlichen sind ca. 30 ehrenamtliche Mitarbeitende in der Klinikseelsorge tätig. Die Beteiligung Ehrenamtlicher ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für eine erfahrbare und kontinuierliche Präsenz der Seelsorge im Klinikum. Die persönliche Motivation der ehrenamtlichen Mitarbeitenden bereichert das Angebot der Seelsorge auf unschätzbare Weise.
Die Hauptaufgabe der ehrenamtlichen Mitarbeitenden sind die wöchentlichen Seelsorgebesuche und ‑ gespräche bei den Patientinnen und Patienten auf Station. In der Regel sind je zwei Ehrenamtliche für eine Station zuständig. Sie sind in dem ihnen zugeteilten Bereich eigenverantwortlich tätig. In den Zeiten, in denen sie nicht auf Station sind, übernimmt der Bereitschaftsdienst der Hauptamtlichen die Verantwortung für die Stationen der Ehrenamtlichen.
Wir orientieren uns an den Konzepten und Standards, die unsere Kirchen für die Ausbildung und Begleitung ehrenamtlicher Mitarbeiter erarbeitet haben.
4.2. Fachkompetenz
Seelsorge im Krankenhaus bedarf einer fundierten und reflektierten Aus- und Weiterbildung.
Alle hauptamtlichen Mitarbeitenden haben ein theologisches Hochschulstudium und eine kirchliche Seelsorgeausbildung abgeschlossen. Darüber hinaus haben sie sich pastoralpsychologisch weitergebildet bzw. eine entsprechende Zusatzqualifikation (Kommunikationsverhalten, Gesprächsführung, Selbst- und Fremdwahrnehmung, Gruppendynamik etc.) erworben. Regelmäßige Fortbildung, kollegiale Beratung und Supervision sind unabdingbar.
Die ehrenamtlichen Seelsorgenden werden in einem halbjährigen Ausbildungskurs unter Leitung zweier Hauptamtlicher theoretisch und praktisch für ihren Dienst auf Station vorbereitet und im Rahmen eines Gottesdienstes beauftragt. In ihrer Seelsorge werden die Ehrenamtlichen durch die Hauptamtlichen unterstützt, begleitet und fortgebildet. Dies geschieht verpflichtend in Begleitgruppen und in persönlicher Beratung und Supervision. Darüber hinaus besteht ein überregionales Fortbildungsangebot für Ehrenamtliche in der Krankenhausseelsorge.
4.3. Interdisziplinäre Zusammenarbeit
Zu unserem Selbstverständnis gehört die grundsätzliche Bereitschaft, mit den verschiedenen im Haus tätigen Berufsgruppen zusammenzuarbeiten.
Unter Zusammenarbeit verstehen wir, dass wir uns konstruktiv auf Angebote einlassen, die von Seiten anderer Berufsgruppen und Einrichtungen an uns herangetragen werden, und dass wir selbst solche Angebote machen und dazu einladen.
Konkret heißt das:
- Informationsaustausch mit dem pflegerischen und ärztlichen Personal auf den jeweiligen Stationen;
- punktuelle Zusammenarbeit mit dem ärztlichen und pflegerischen Personal und anderen Berufsgruppen und Diensten im Interesse einzelner Patientinnen und Patienten (z.B. interdisziplinäre Fallbesprechungen bei Fragen einer Therapiezieländerung);
- Kontinuierliche Mitarbeit in interdisziplinären Arbeitsgruppen;
- Beteiligung an Forschungsprojekten;
- Beteiligung an Lehrveranstaltungen (z.B. Ethikseminar in der Krankenpflegeschule, Studentenausbildung im Rahmen des „Medizinischen Curriculums München“) und Mitarbeit bzw. Referententätigkeit bei Fortbildungsveranstaltungen, Tagungen, Kongressen innerhalb und außerhalb des Hauses, (z.B. im Rahmen der Akademie für Palliativmedizin, für den Verein „Lebensmut“, in Hospizgruppen, ambulanten Diensten und anderen stationären Einrichtungen sowie im Rahmen der Erwachsenenbildung).
In dem Maß wie im Klinikum die Sorge für spirituelle Bedürfnisse als Bestandteil einer ganzheitlichen Zuwendung zum Menschen verstanden wird (spiritual care), intensiviert sich diese Zusammenarbeit.
4.4. Zusammenarbeit im Hauptamtlichen-Team
Wir nutzen die vorhandenen Strukturen (Dienstbesprechungen, teaminterne Fortbildung, Inhaltskonferenz usw.) effektiv für das Gesamtteam. Die Mitgliedschaft im Team bedeutet immer zugleich Teilhabe an der Gesamtverantwortung für Team, Struktur und Zentrum.
Jede Dozententätigkeit, sofern sie die Arbeits- und Anwesenheitszeit betrifft, muss mit dem jeweiligen konfessionellen Team abgesprochen sein.
Fort- und Weiterbildungen, die von hauptamtlichen Seelsorgenden für das Haus angeboten werden, gehören zu unserem Arbeitsbereich.