Angst

„Das Boot aber war schon viele Stadien vom Land entfernt und wurde von den Wellen hin und her geworfen; denn sie hatten Gegenwind. In der vierten Nachtwache kam Jesus zu ihnen; er ging auf dem See. Als ihn die Jünger über den See kommen sahen, erschraken sie, weil sie meinten, es sei ein Gespenst, und sie schrien vor Angst. Doch Jesus begann mit ihnen zu reden und sagte: Habt vertrauen, ich bin es; fürchtet euch nicht!“ (Mt 14, 24 f.)

In Krisen- und Umbruchszeiten, in den Augenblicken unseres Lebens, wo unser „Ich“ geschwächt ist, in Zeiten von Verlust, Krankheit oder gar im Sterben, erwacht die Angst in besonderer Weise. Sie ist zunächst einfach da, sie ist oft genug reine Existenzangst, die schon Tiere erleben können; sie ist körperliche Reaktion: Zittern, Schaudern oder Frieren. Angst tritt besonders dort auf, wo der Mensch sich als Subjekt erlebt und im Eigenen ankommt. Angst hängt zusammen mit der Bewusstseinsentwicklung des Menschen und der wachsenden, aber auch ängstigenden Freiheit (vgl. M. Renz, Zwischen Urangst und Urvertrauen, Paderborn 1996; E. Drewermann, Psychoanalyse und Moraltheologie, Bd. 1

Angst zu haben angesichts einer lebensbedrohlichen Krankheit z.B. bedeutet für mein inneres Erleben, dass sich meine vertraute Welt auflöst; die Nächsten sind nicht da oder erweisen sich selbst als hilflos; ich fühle mich ungeborgen und ausgesetzt im "Niemandsland", in dem das, was bisher Halt gab, sich als nichtig zeigt. Die Orientierung fehlt, ich irre umher, „Chaos-Gespenster“ tauchen in meiner Seele auf - irreal mächtig, kaum unterscheidbar vom real Bedrohlichen; Angstphantasien nehmen mir den Raum zum Atmen, sperren meine Seele in ein Gefängnis, Gedanken der Angst zerfurchen mein Gehirn. Was ist, wenn ...? Im Bannkreis der Angst erscheint meine gesamte Welt als fremd und feindlich.

Manchmal sind es auch alte Ängste, die durch den Riss in meinen Lebensbau hineinschlüpfen; nicht bewältigte Vergangenheit taucht im Inneren der Seele auf: die Angst und Scham des Verlassen-worden-seins von der Mutter - das hilflose Kind - ausgesetzt in einer unheimlichen Welt; der erlebte Terror eines alkoholsüchtigen Vaters, die Angst ohnmächtig ausgeliefert zu sein, die Angst vor neuerlicher körperlicher oder sexueller Misshandlung usw. Oder: das nicht beachtete, verschattete und verängstigte innere Kind steht plötzlich vor mir wie ein Bettler. Und: Ich kann es nicht mehr wegschieben, nicht mehr flüchten in vertrautes Verhaltensrepertoire, mich verstecken hinter den Masken des Gewohnten.

Die bisherigen Verdrängungsmechanismen und Formen der Angstbewältigung (z.B. Herrschafts- und Kontrollanspruch, Haben statt Sein, Vielbeschäftigung oder rationale Sachlichkeit) funktionieren einfach nicht mehr.

Angst verformt das Leben und Dasein eines Menschen und erweist sich oft genug als Ursache aller Seelenkrankheit (vgl. F. Riemann, Die Grundformen der Angst). Angst läßt Menschen verzweifeln und treibt sie bis in den Selbstmord hinein. Ängste stören die zwischenmenschliche Beziehung, führen zu Egozentrizität und Abkapselung: Ich werde stumm und verschließe mich, ich gehe von Angst zu Angst und befinde mich in der Spirale eskalierender Erregung.

Wie lässt sich der Mensch von seiner Angst erlösen?

Was ist hilfreich und heilsam, wenn mein Lebensboot von hohen Wellen hin- und hergeschleudert wird; wenn panische Angst an meiner Seele nagt?

Was kann ich tun, wenn "Angst fressen Seele auf" (vgl. Fassbinder Film)?

Impulse

  • Ich stelle mich meiner Angst. Ich versuche sie in Worten zu beschreiben, ich schreibe sie auf (in ein Tagebuch z.B.), ich suche einen Gesprächspartner, mit dem ich über meine Ängste reden kann
  • Ich male ein Bild; das meine Angst ausdrückt. Ich betrachte das Bild und tausche mich darüber mit einer Vertrauensperson aus.

(Die Gespenster der Angst werden kleiner, sobald ich sie ausdrücken kann. Die verständnisvolle und vertrauenerweckende Stimme eines Gegenübers, menschliche Nähe tut gut, wenn Angst mich aufwühlt.)

  • Ich beginne zu beten. Weil mir in meiner Angst und Verzweiflung eigene Worte fehlen, bete ich in den Worten der Psalmen wie z.B.: „ER griff aus der Höhe herab und fasste mich, zog mich heraus aus gewaltigen Wassern.“ (Psalm 18) Andere Psalmen: Psalm 23, 34 oder Jes. 49,15; oder im Jesusgebet wiederhole ich Rhythmus des Atems den Satz: „Jesus Christus, Sohn Gottes, erbarme dich meiner!“
  • Ich meditiere biblische Geschichten wie Mt. 14, 22 f, wo Petrus seinen Fuß auf das Wasser setzt, im Vertrauen auf die Gestalt, die ihm auf dem Wasser entgegenkommt. Ich begebe mich selbst in die Rolle des Petrus und höre Jesu Stimme: "Fürchte dich nicht!"
  • In heilsamen Ritualen, die Gottes liebende Zuwendung sichtbar machen, kann meine Angst gebannt werden; ich lasse mich segnen (im Segen kann ich erfahren, dass Gott selbst noch auf dem Grund meiner Angst ist, dass ich samt meiner Angst in seiner Hand gehalten bin) oder ich bitte um die Krankensalbung oder den Blasiussegen ( zwei brennende Kerzen werden an den Hals gehalten werden, also dorthin, wo die Angst mir die Kehle zuschnürt, damit die Wärme der Liebe die Angst löst.)

Es geht bei allen Ritualen darum, ein Vertrauen und einen Halt zu erfahren und zu spüren - ganz leibhaft-, der tiefer ist als der Abgrund der Angst und die Hinfälligkeit geschöpflicher Kreatur.

Literatur

  • Monika Renz, Zwischen Urangst und Urvertrauen, Therapie früher Störungen, 1996

(Text von Gustav Schädlich-Buter)