Gehorsam

Das Wort Gehorsam ist vor allem deswegen in Verruf gekommen, weil mit Gehorsam viel Missbrauch getrieben wurde. Man denke nur an die Befehl-Gehorsamsmentalität des Nationalsozialismus. Nicht wenige der „Mittäter“ stahlen sich hinterher aus der Verantwortung mit der Entschuldigung: „Ich habe ja nur getan, was mir befohlen wurde.“; so ließ sich das grausamste Unrechtshandeln (z.B. Auschwitz, Dachau, Theresienstadt....) rechtfertigen. Adolf Eichmann sagte bei seiner Vernehmung in Israel sinngemäß: „Ich gehörte zu den Menschen, die sich kein eigenes Urteil bildeten. Führerworte hatten Gesetzeskraft. Ich habe gehorcht. Egal, was man mir befohlen hätte, ich hätte gehorcht, denn Eid ist Eid.“ Der Nazi-Typus und dessen Variablen als Stasi Spitzel, religiöser Fundamentalist ... sucht nach Autoritäten, die sagen wo es lang geht, nach Hierarchien, die ihm Sicherheit geben und denen er blind gehorchen kann.

Wir leben heute in einer Zeit, in der nahezu die meisten Gesellschaften verschwunden sind, in der die Jungen noch auf die Alten hörten, um von ihnen lebensnotwendige Dinge zu lernen. Autonomie und Selbstbehauptung spielen für den modernen Menschen dagegen eine große Rolle.

Angesichts dieser Fakten ist es schwer dem christlichen Ideal des Gehorsams, wie ihn heute noch Ordensangehörige geloben, noch etwas abzugewinnen. Allzu leicht denkt der moderne Mensch bei auf Gehorsam beruhenden Gemeinschaften an ein ungesundes und repressives System, bei dem den einzelnen Mitgliedern jeglicher Freiheitsspielraum entzogen ist.

Gehorsam aus christlicher Perspektive lässt sich jedoch nicht auf ein Niveau stellen, das bestenfalls einer Militärakademie oder gar einer Hundeschule angemessen ist.

In der jüdisch-christlichen Tradition wird Gott als ein Gegenüber verstanden, der mit uns kommuniziert. Er ist das „Wort“ (Logos), das sich uns zuspricht, der Mensch ist der Angerufene und „Hörer des Wortes“ (Karl Rahner). Im Horchen auf diesen Ruf wird der Mensch Person , womit das Innerste eines Geistwesens gemeint ist . Der Mensch wird in dieser Beziehung , die aus Anruf und Hören-Antworten besteht, mit einer Würde ausgestattet, die durch nichts verloren werden kann.

Zugleich ist auch Gott ein Hörender, das Wesen, das unseres „Wortes“ bedürftig ist. Gehorsam im christlichen Sinn ist ein intensiven Hörvorgang, bei dem durch die Hingabe an das Gehörte, Sinnstiftendes, Befreiendes, Verwandelndes, Erneuerndes ... vernommen wird und in die Welt getragen wird.

Die ganze jüdisch-christliche Geschichte ist vom Hören geprägt: Schon im Ersten Testament finden wir das „Höre Israel ...“ auf die Stimme JHWH, die Evangelien, insbesondere das Johannesevangelium ist geprägt vom Hören auf die Stimme Jesu (immer wieder wird der Leser gefragt, ob er die Stimme hört oder nicht) und dann das Hören auf den heiligen Geist Gottes.

Die Suche nach dem Willen Gottes verlangt eine Haltung des Hörens. Der berühmte Ohrenarzt Tomatis vertritt in seiner Entwicklungsgeschichte des Ohres die These, das die ganze Entwicklungsgeschichte des Menschen auf jenen Punkt hinausläuft, an dem ein Hörorgan ausgebildet wird, das den Logos als letzten Sinn der Weltvernehmen kann.

Diese hörende Haltung kann ich in meinem Alltag (Beruf, Partnerschaft und Familie) einüben; indem ich davon ausgehe, dass Gott mir etwas sagen will, begebe ich mich in eine Haltung des Hörens. Durch die Exoduserzählung erfahren wir, dass Gott hörende Menschen in seinen Dienst, in den Dienst der Befreiung, Erlösung und Heilung nimmt.

Allerdings sollte hier auch erwähnt sein, dass biblisch gesehen, eine Aufteilung in Befehlende und Gehorchende nicht vorgesehen ist. Sondern alle sind Horchende, es gilt aufeinander und auf den Willen Gottes zu hören. Nur im geduldigen und langmütigen „Auf-einander-hören“ kann ein herrschaftsfreier Raum entstehen, der nicht von einigen wenigen beherrscht wird, die das Sagen haben. Die machtvolle Haltung des „Durchgreifens“ dagegen ist keine geistliche Haltung. (vgl. dazu: Anton Rotzetter, Aus Liebe zum Leben, Die evangelischen Räte neu entdeckt, S. 68-96; dem ich wichtige Anregungen für diesen Aufsatz verdanke)

Impuls

  • Rechne ich noch damit, dass mir Gott etwas sagen will? Höre ich noch über mich hinaus?

Literatur

  • Anton Rotzetter, Aus Liebe zum Leben, Die evangelischen Räte neu entdeckt, S. 68-96;
  • Alfred Tomatis, Das Ohr und das Leben, Erforschung der seelischen Klangwelt, 2000

(Text von Gustav Schädlich-Buter)