Loslassen

Loslassen, abgeben, zurücklassen, alles "hinter-sich-lassen", „alles verkaufen und verschenken“ (vgl. Matth. 19, 16-26) , sich überlassen - das sind in der Tat Umschreibungen für etwas, was unserer natürlichen Reaktion und unserem Ego meist zuwiderläuft.

Tun wir uns nicht alle schwer mit dem Loslassen? Nur einige mögliche Beispiele mögen das erläutern: Ich kann es nicht lassen, mich über die Politik zu ärgern, über den blöden Nachbarn, das verlorene Fußballspiel oder den gestrigen Streit. Ich kann es nicht lassen, nutzlosen Phantasien hinterher zu hängen, Leute auszurichten und mich am Geschwätz zu beteiligen. Ich kann es nicht lassen, an mein Geschäft zu denken, an die Profitsteigerung oder das neue Auto. Ich kann es nicht lassen ein Glas über den Durst zu trinken, mir aus Gewohnheit eine Zigarette anzuzünden oder abends bis Sendeschluss vor dem Fernseher zu sitzen. Ich kann es nicht lassen, zu nörgeln, zu kritisieren, zu kontrollieren und alles besser zu wissen. Ich kann es nicht lassen, mich vor anderen aufzuspielen, mein Image zu polieren und mich zu vergleichen. Ich kann es auch nicht lassen, mich selbst zu entwerten, mich kleinzumachen und zu kritisieren. Ich kann es nicht lassen, mich als Opfer zu fühlen und anderen die Schuld für mein Elend aufzuladen. Ich kann es nicht lassen ... Wir Menschen erleben uns vielfach unfrei und beschwert, weil wir an so vieles gekettet sind.

Loslassen von so vielem ist kein Selbstzweck, sondern es geht um`s leicht werden, ums frei werden, dass ich mich einlassen kann. Sich einlassen auf den „Wind“ , Christen sprechen von heiligen Geist, der mich umgibt. Sich vertrauensvoll Einlassen auf die Kraft, die mich, mein einmaliges Leben trägt und ihm einen unverwechselbaren Sinn verleiht.

Für das Los- und Einlassen fällt mir folgendes Bild ein: Ein Kind rennt an einem windigen, aber sonnigen Herbsttag einen Hügel hinauf; oben angekommen, lässt es seinen Luftballon (Symbol für das eigene Leben) los und überlässt ihn nach einigem Zögern ganz dem Wind, der ihn wegträgt. Das Kind hat den Luftballon jetzt nicht mehr als Besitz in der Hand oder unter Kontrolle, sondern dem Wind überlassen, der ihn trägt, wohin er („ER“) will.

Sich einlassen bedeutet nicht, nichts zu tun, passiv und willenlos sein Leben dahintreiben zu lassen. Das wäre verantwortungslos. Sondern es bedeutet im Gegenteil aktiv und wach mit höheren Kräften zu rechnen, die mein Leben beeinflussen können und es in eine Richtung treiben, die stärker sein können als mein eigenes Wollen. Im sensiblen Wahr- und Ernstnehmen dieser Kräfte, kann ich immer deutlicher spüren, woraufhin mein Leben hinaus will. Und womöglich kann ich lernen, mich diesen Kräften immer mehr anzuvertrauen. Meine Aufgabe besteht dann darin, das beizutragen, was ich selbst beitragen kann, dass der tiefere Sinn oder die Bestimmung meines Lebens zur Erfüllung kommt. „Spirituell ausgedrückt geht es darum, herauszufinden, was Gott für mich vorgesehen hat, was sein Wille für mich ist, und ich das Meine dazu beitrage, dass Gottes Wille umgesetzt wird.“ (vgl. dazu und zum vertiefenden Nachlesen: W. Müller, Zwischen Schicksal und Freiheit. Mut zur Entscheidung, München 2014)

Impulse

  • Welchen Ärger kann ich heute loslassen?
  • Was könnte ich tun, um die Leichtigkeit des Seins zu spüren?
  • Rechne ich noch mit höheren Kräften, die mich beeinflussen und bewegen?

Literatur

  • W. Müller, Zwischen Schicksal und Freiheit. Mut zur Entscheidung, München 2014)

(Text von Gustav Schädlich-Buter)