Macht und Ohnmacht

"... der Größte unter euch soll werden wie der Kleinste, und der Führende soll werden wie der Dienende." (Lk 22, 25)

Entwicklungspsychologisch spielen Macht- und Ohnmachtserfahrungen im Leben eines jeden eine zentrale Rolle. Das kleine Hänschen, das sich gegenüber seinem riesig erscheinenden Vater und seiner allversorgenden Mutter abhängig und ohnmächtig fühlt, möchte irgendwann selbst zum „großen Hans“ werden, der das „Sagen“ hat oder zumindest mitreden darf. Anders ausgedrückt: statt sich ein Leben lang ohnmächtig, klein, womöglich schambeladen und wertlos zu fühlen, möchte der Mensch im Laufe seiner Entwicklung immer mehr die Ebene erreichen, in der kein Ohnmachtsgefälle zu mächtigeren Erwachsenen mehr besteht (vgl. S. Freud). Menschliche Entwicklung zielt darauf, seiner selbst mächtig zu werden, das Leben in die eigenen Hände zu nehmen und das gegebene Leben so zu gestalten, dass ich zufrieden und glücklich damit bin.

Ethymolgisch stammt das Wort „Macht“ von „mugan“= vermögen, können; es geht also um das Vermögen und die Fähigkeit sein Leben „frei“ , aus eigenem Antrieb, eigener Motivation und innerem Interesse heraus zu gestalten.

Andererseits glückt dieses Entwicklungsziel in den wenigsten Fällen reibungslos; nicht wenige Menschen laufen ihr Leben lang mit Autoritätskomplexen herum. Ebenso können während der Kindheit traumatisch erlebte Ohnmachts- und Entwertungserfahrungen zu einem ausgeprägten, manchmal suchtartig kompensierenden Machtstreben beim Erwachsenen führen. (vgl. A. Adler; vgl. die ganze Narzißmusforschung bei Kohut, Kernberg, Jacoby).

Wem das eigene Bedürfnis nach Macht nie oder zu wenig erfüllt wurde, trägt als Hintergrundfolie seiner Lebensäußerung oft das Thema Macht mit sich herum, das ihn (un)-heimlich bestimmt. Verdrängtes und subtil eingesetztes Machtstreben ist dabei letztlich destruktiver und schwerer zu greifen als ein offener Machtanspruch, gegen den sich andere wehren können. Macht hat also in erster Linie etwas mit der eigenen Selbstbestimmung zu tun.

Erst in zweiter Linie ist Macht als Macht über andere zu verstehen. In Bezug auf den Machtgebrauch über andere tauchen bei den meisten von uns schnell zwiespältige Gefühle auf, besonders bei Frauen gegenüber Männern. Die große und kleine, die öffentliche und private Geschichte bezeugt leider, dass vor allem Männer ihre Macht missbraucht haben.

Machtmissbrauch bedeutet, die gegebene Macht für sich selbst und die eigenen Interessen einzusetzen, um vor anderen „groß“ dazustehen. Die Geschichte stellt uns zahlreiche Beispiele missbrauchter und fehlgeleiteter Macht vor Augen - von Hitler, Stalin, bis zu Mobuto, Gaddafi, Il Sung, Saddam oder bin Laden (vgl. E.Follath, Die letzten Dikatoren).

Auch amerikanische Präsidenten der jüngsten Vergangenheit haben ihre Macht missbraucht und den Machtbereich der weißen, reichen Männer abgesichert. Diese dunkle Macht, die an vielen Stellen der Geschichte wirksam ist, strahlt gerade auf unsichere Menschen eine große Anziehungskraft aus.

Jesus aber spricht sich an vielen Stellen (z.B. Mk 10,42-45; Lk 22, 25-27 ...) gegen die Ausübung einer eigennützigen Herrschaftsmacht aus. „Der Größte von euch soll euer Diener sein.“ Die von Gott gegebene Macht soll so eingesetzt werden, dass sie anderen Menschen und unserer Welt dient. Macht hat in erster Linie etwas mit „Dienst“ zu tun und dem Vermögen als Fähigkeit, Leben zu schaffen, Leben aus anderen herauszulocken. Leider wurde der Wille Jesu im Laufe der Kirchengeschichte oft genug missachtet und viel zu oft der primitive Instinkt oder die narzisstische Sucht nach Besitz, Titeln und Selbstverherrlichung befriedigt.

Die ichbezogene Sucht nach Macht als Drang dem anderen den eigenen Willen aufzuzwängen, stellt ein ernsthaftes Hindernis auf dem geistlichen Weg dar. (vgl. Franz Jalics, Kontemplative Exerzitien). Für Franz Jalics S.J. geht es darum, die Machtsucht, der schon die Apostel in ihrem Machtgerangel ausgeliefert waren, in Dienstbereitschaft und Gottesdienst zu verwandeln: „Dein Name werde geheiligt“ und „Dein Wille geschehe“.

Der Exodusgott befreit uns von der Macht dieser „Welt“. Gott ist die Macht, die in die Weite und Freiheit des göttlichen Raumes in mir führt, in dem kein Mensch Macht über mich hat, in der ich frei bin von allen Fremdansprüchen und geschützt vor allen Selbstentwertungen.

Impulse

  • Wie hältst Du es mit der Macht ?
  • Welche Rolle spielt Macht in Deinem Leben?
  • Wem dienst du?

Literatur

  • Franz Jalics, Kontemplative Exerzitien (a.a.O.)

(Text von Gustav Schädlich-Buter)