Praxis des spirituellen Lebens

(Anregungen von Bernardin Schellenberger, Auf den Wegen der Sehnsucht, Zum spirituellen Leben heute, Freiburg im Breisgau 2004; dieses Buch empfehle ich jedem und jeder, der sich ernsthaft mit Spiritualität auseinandersetzen will)

Das Unvermögen vieler Menschen, was die Umsetzung der so zahlreich angebotenen geistlichen Gedanken, Hilfestellungen und Ratgeber spiritueller Literatur betrifft, liegt zumeist nicht am einem fehlenden guten Willen jener, sondern weil das Leben jedes einzelnen individueller und komplizierter ist;

Bernandin Schellenberger gibt „Acht einfache Anregungen“, die weniger als Einstieg ins spirituelle Leben gedacht sind, sondern als Hinweise verstanden werden wollen, wie man sich nach Ansicht des Autors am fruchtbarsten darin verhält:

„Erste Anregung: Konzentriere dich nicht auf ein spirituelles Leben, sondern auf dein Leben. Entdecke dein spirituelles Leben darin“ (a.a.O., S.129)

In diesen Zusammenhang weist Schellenberger auf die Tücke hin, durch bestimmte Methoden spirituelle Erfahrungen zu suchen, sein wirkliches Leben aus den Augen zu verlieren. Die Methode ist das Leben selbst. Für sich selbst hat der Autor die im Konkreten bleibende Lektüre von „Biografien einigermaßen reifer Menschen“ hilfreicher empfunden als so manche spirituelle Gebrauchsanleitung.

„Zweite Anregung: Versuche regelmäßig, erinnernd den Faden in deinem eigenen Leben zu finden.“ (a.a.O., S.130)

Der Autor regt an, den roten Faden, den größeren Zusammenhang des eigenen Lebens immer mal wieder innehaltend zu suchen und dadurch Sinn und Ziel des eigenen Lebensweges zu erkennen. (vgl. dazu auf der Internetseite unter „spirituelle Impulse“: Erinnerung). Eine Hilfe dabei kann ein Tagebuch sein, aber noch besser der Austausch mit anderen Menschen.

Dabei ist gerade der erinnernde Rückblick klärend in Bezug auf die Qualität der gemachten Erfahrungen; manches an Lebenslast, Tragik, Leid und Brüchigkeit, dessen Sinn in der Gegenwart verhüllt ist, kann dadurch mit neuen Augen gesehen werden.

„Dritte Anregung: Sei nicht so einfältig, dich um eine „Gotteserfahrung“ zu bemühen oder auch nur eine solche zu ersehnen.“ (a.a.O., S.131)

Ein solches Sehnen sei naiv und zeuge von einem harmlosen Gottesbild.

Die Erfahrung Gottes, so Schellenberger aus innerster Überzeugung, sei viel zu groß und mächtig als dass wir sie aushalten könnten. Er fürchte sich davor und zitiert W. Blake mit seiner Vermutung, wir seien auf die Erde gesetzt, um uns langsam an die „Strahlen der Liebe Gottes“ zu gewöhnen.

„Vierte Anregung: Aktiviere deine Fähigkeit zur Liebe, und zwar zu der Art Liebe, die sich engagiert und verschenkt. Scheue dich nicht, wenn es sein muss, dich unbeliebt oder dir die Hände schmutzig zu machen.“ (a.a.O., S.132)

Und auf Anregung drei Bezug nehmend formuliert Schellenberger: „Die Strahlen der Liebe kannst du nur empfangen und aushalten, wenn du auf diese Art liebst, statt raffiniert dich selber zu suchen....Wer liebt, weiß oft gar nicht, dass er liebt. Das ist die optimale Liebe.“ (S.132) Dabei weitet das liebende Engagement das Fassungsvermögen für die Liebe Gottes.

„Fünfte Anregung: Habe die Zuversicht, dass du besonders nahe an der Erfahrung Gottes bist, wenn du überhaupt keine angenehmen Erfahrungen hast und du dir als schwacher, inkonsequenter Mensch vorkommst und darunter leidest.“ (a.a.O., S. 132)

Schellenberger hält die unfreiwilligen, nicht künstlich produzierten Leidzustände, die Situationen, in denen Menschen „Rotz und Wasser heulen “ über ihre Sünden für Orte echter Erfahrung, wo sie ganz „nahe dran sind“. So würden bestimmte Typen spirituell Fortgeschrittener niemals weinen.

„Sechste Anregung: Richte dich darauf ein, oder richtiger: darauf aus, dass dir von dem, der dich unendlich übersteigt und dir zugleich innerlicher ist, als du selbst bist, etwas gesagt wird. Lebe deshalb in der Haltung des Hörens.“ (133)

Auch wenn Gott kein Unterhaltungssender ist, der uns ständig berieselt, spricht er zu uns und wir können „Ihn “ vernehmen, wenn wir die Frequenz auf diesen Sender einstellen, selbst dann: wenn wir uns manchmal auf „lange Zeiten der Sendepause“ einstellen müssen. Auch wenn Gott mit dem Menschen nicht rede wie Christus mit Don Camillo, so „kann man deutlich merken, dass man da etwas gesagt bekommen hat. Er kann so gut wie alle Medien dazu verwenden, mitten aus unserem Leben heraus. Öfter sind es die, von denen man es am wenigsten erwartet hätte.“ (S.134)

„Siebte Anregung: Nimm dir die Bibel vor. Versuche aus ihr herauszuhören, was anderen vor dir bereits gesagt worden ist und analog auch für dich wichtig sein könnte. Versuche, zu hören, ob dir etwas gesagt wird.“ (a.a.O., S.134)

Die Bibel dürfe dabei nicht als das „Protokoll von Diktaten Gottes“ missverstanden werden, die man buchstäblich zu verstehen habe (die fundamentalistische und sektiererische Gefahr), sondern das „Protokoll von Lebenserfahrungen von Menschen, die an Gott geraten sind und das im Maße ihrer Möglichkeiten aufgezeichnet haben. Das meiste von ihrer - wie ich es erlebe - tatsächlich einmalig inspirierten Power steht zwischen den Zeilen.“ Wer die Bibel allerdings rein als historisches Dokument verstehen möchte, sei wie einer der an einer Nussschale herumknabbert ohne den nahrhaften Kern zu schmecken. Dieser erschließe sich nur, wenn man mit seiner ganzen Existenz ins Gespräch und Erfahrungsaustausch eintrete. Sie sei voll mit Szenen und Erlebnisberichten, an die man mit dem eigenen Leben anknüpfen könne.

„Achte Anregung: Bete zu Gott, er möge dich in deinem Leben erleuchten, stärken und führen. Bete vor allem um die Erlösung der Welt von dem Bösen. Versuche, ständig mit Gott im Gespräch zu bleiben.“ (a.a.O., S.137)

Wesensgemäß sind wir auf das Gespräch und den Austausch angelegt (Im Anfang war das Wort); dabei wird in dem Maße wie das WORT (im Sinne von Logos als das Mensch gewordene Wort Gottes) zur lebendigen Wirklichkeit wird, die vielen Worte verstummen und das Gespräch weniger wortreich, was in der klassischen Tradition als die vier Stufen des Gebetes beschrieben wird.

(Text von Gustav Schädlich-Buter)