Sünde und Schuld

(Text inspiriert von B. Schellenberger, Auf den Wegen der Sehnsucht, Zum spirituellen Leben heute , Freiburg im Breisgau 2004; L. Wachinger, Gespräche über Schuld, Die Sprache der Versöhnung suchen, Mainz 1988)

Es ist heute nicht einfach über Schuld zu schreiben, zumal von einer kirchlichen Position aus, wurde in der Tat mit dem Sünden- und Schuldbewusstsein mancher Missbrauch (Drohung mit Höllenstrafen, Gott als Erziehungshilfe; Machtmissbrauch in der Beichte etc. )getrieben. Das spricht aber nicht dagegen ein Bewusstsein von Sünde und Schuld wieder in Erinnerung zu rufen, zumal dies mit der Annahme von persönlicher Freiheit (welch große Würde des Menschen!) und radikaler Verantwortung für das Leben einhergeht.

Im Buch Genesis wird die erste große Sündengeschichte erzählt; sie beschreibt keine pubertäre Anarchie gegen den übermächtigen Vater-Gott (wie es die psychoanalytische Theorie nahe legt), sondern sieht den Sündenfall darin, dass der Mensch sein eigener Gott sein wollte, autonom und unabhängig vom Urteil anderer in der Entscheidung, was Gut und Böse ist. Das für unseren Zusammenhang in dieser Geschichte Entscheidende besteht darin, dass durch das Fehlverhalten die Beziehung zerstört worden ist, dass Adam und Eva sich plötzlich nackt vorkommen und sich schämen. Erst dort, wo die Beziehung nicht mehr stimmt, tauchen Gefühle des Misstrauens auf , der Verdacht des “Hintergangen- oder Übervorteilt-werdens“, die Angst “durch-schaut” zu werden etc. “Sündigen” ist nur möglich im Kontext von Beziehung, im Kontext von Ich und Du - so scheint uns diese biblische Geschichte im Buche Genesis sagen zu wollen. Sünde hat etwas zu tun mit einer Beziehungsstörung. (vgl dazu B. Schellenberger, Auf den Wegen der Sehnsucht, Zum spirituellen Leben heute ; L. Wachinger, Gespräche über Schuld)

Der aus dem biblischen Kontext abgeleitete Sündenbegriff lautet, dass der Mensch ein Geistwesen sei, das durch Verfehlung (welche eine ja reale Wahlfreiheit voraussetzt) aus der Beziehung zu Gott herausfallen könne. Während dieses Paradigma die Sünde als moralischen Mangel kennzeichnet, sieht das Paradigma der “Neuen Spiritualität” nur noch ein erkenntnistheoretisches Problem (entsprechend der hinduistischen Auffassung): Wir sind nicht abgefallen von “Gott”, wir haben lediglich vergessen aus dieser Wirklichkeit zu kommen.

In einem solchen Denken ist das Leben ein absolut sicheres, aber ungeheuer langweiliges Unternehmen, bei dem eigentlich nichts schief gehen kann. Die Dramatik und Tragik, die Offenheit für den Ausgang (inklusive des möglichen Scheiterns und Fehlschlagens) fehlt darin völlig (vgl. dazu: B. Schellenberger, Auf den Wegen der Sehnsucht, Zum spirituellen Leben heute, Freiburg im Br. 2004)

In einer Spiritualität, in welcher die Grenzen zwischen Ich und Du, Ich und Welt abhandengekommen sind, dem die gesamte Wirklichkeit eins ist, in der die (personale) “Beziehung” als Grundstruktur der Wirklichkeit und deren Erfahrbarkeit verschwindet, verflüchtigt sich auch die Kategorie der Sünde. So kann man also im eigentlichen Sinn nur “Sündigen” im Beziehungsgeschehen.

Nach christlicher Vorstellung wird der Mensch und die Welt durch das kreative Wort Gottes geschaffen und gerufen, “Ihm” Antwort zu geben, also Verantwortung zu übernehmen. So lässt sich Sünde verstehen als die Unterbrechung der hin- und herströmenden Kommunikation zwischen Gott und Mensch, Mensch und Mensch, Mensch und Welt. Sie ist die Verletzung der Welt des Gesprächs, deren Folgen tiefe zwischenmenschliche Wunden reißen kann und sogar global tödliche Folgen nach sich ziehen kann (Ausbeutung der Erde, Klimawandel..) (vgl. dazu L. Wachinger,.a.a.o)

Wer Gott und Welt, Welt und Seele ineinander verwischt (wie es die Neuere Spiritualität tut auch im Gefolge der modernen Bewusstseinsphilosophie und einer Tiefenpsychologie, die sich subjektivistisch nur noch für das Bild (Archetyp) der Welt in der Tiefenpsyche interessiert und das Gegenüber des Patienten zur realen Welt vernachlässigt), vernebelt die Bedeutung des Dialogs, der Beziehung und die durch Gesprächs- und Beziehungsabbruch entstehenden Gefahren.

Schon für den jüdischen Religionsphilosophen Martin Buber ist der Gegenüberstand von Ich und Welt (und zwar als metaphysischer Charakter der Wirklichkeit, als Seinsordnung) das Ur-Phänomen”, das es zu retten gilt, mit der darin enthaltenen Möglichkeit der Beziehung von Ich und Du. (vgl. M. Buber, Das dialogische Prinzip, Heidelberg 1984).

Aus christlicher Sicht scheint mir die sichtbare Welt als Ort des Gegenüberstehens und der Verantwortung als unaufgebbar. Schuldigsein steht immer im Kontext real gelebter und erfahrener Beziehung; sie ist die Verletzung einer Beziehung von Mensch zu Mensch und letztlich eine Verletzung der Seinsordnung.

Heilung dieser Verletzungen und sühnende Wiederverbindung mit der Welt stellen den Kern von Verzeihung und Versöhnung dar.

Dort, wo ich eine Beziehung gestört, verdorben oder kaputtgemacht habe, kann ich auch nur im Rahmen dieses Beziehungskontextes Heilung erflehen und um Verzeihung bitten. Dies kann nur, wer auch die damit einhergehende Abhängigkeit auf sich nimmt. Bei nicht ehrlich eingestandener Schuld einer der Streitparteien oder nur halbherziger Bereitschaft zu verzeihen, bleibt die Sünde mit ihrer vergiftenden Wirkung und ihren destruktiven Emotionen im Beziehungsraum stehen. Schuld ist gekennzeichnet durch einen komplizierten inneren und interaktionalen Vorgang, den am ehesten das Gespräch spiegelt: das Selbstgespräch, das Gespräch zwischen Menschen, das Gespräch mit Gott. Schuld ist in erster Linie kein abstraktes Problem der Theologie, sondern weist mich auf meine persönliche Geschichte und meine Beziehungen; auf die schuldhaften Ereignisse meines Lebens und fordert mich heraus dazu Stellung zu nehmen in Anerkennung, Differenzierung oder Ablehnung meiner Schuld. Im Gespräch, im Mit-einander-reden von “gleich zu gleich “ ohne Machtgefälle (" von oben nach unten"), im geschwisterlichen Zuhören, können wir dabei einander helfen im Drama der Schuld. Wer als Glaubender sein Herz vor Gott ausschütten kann wie König David im 51. Psalm scheint es leichter zu haben. (vgl. L. Wachinger, a.a.O., Mainz 1988)

Zurück zur Theologie: Im Unterschied zur hinduistischen Karmatheorie (mit ihrem rigoristischen Ursache-Wirkungszusammenhang), bei welcher der Einzelne das durch Fehlverhalten entstandene schlechtes Karma nur gewissenhaft durch bessere Erkenntnis und Praxis abarbeiten kann, und sich dadurch (womöglich über viele Wiedergeburten) selbst erlösen muss, kann in der christlichen Sündentheologie dem um Vergebung bittenden Sünder alles restlos und auf einmal verziehen werden.

Im Spannungsfeld zwischen “neuer Spiritualität” und alter Spiritualität steht die Selbsterlösung des sich autonom verstehenden Individuums und die sich auf die Gnade Gottesverwiesene und von ihr abhängige wissende Person gegenüber. Das ist kein theoretisches Problem, sondern damit sind unterschiedliche Grundhaltungen verbunden. Wenn ich jemanden brauche, gebe ich zu, dass ich nicht mein eigener “Herr” bin. Ich gebe zu, dass ich nicht mit mir allein als absoluter Souverän auskommen kann. Der Satz “Ich brauche Dich” (auch angesichts meiner Schuld) verlangt Demut, die Mauern einreißen kann. Gnade zu erfahren bedeutet, dass dem Angewiesenen Ansehen und Liebe gewährt wird. Je geistiger ein Wesen ist, umso mehr weiß es sich abhängig und angewiesen und kann diese Verwiesenheit, die Schönheit ist, bejahen ohne sich ihrer zu schämen. Schuldfreie Beziehungslosigkeit dagegen ist der Tod.(vgl. F. Steffensky, Der alltägliche Charme des Glaubens, Würzburg 2002)

(Text von Gustav Schädlich-Buter)