Sinn

Nicht wenige Menschen leiden heute an Depressionen und Sinnlosigkeitsgefühlen ... manche nennen konkrete Gründe dafür: Arbeitslose fühlen sich nutzlos und meinen daher, ihr Leben sei sinnlos. Wieder andere fühlen sich hilflos angesichts der friedlosen und ungerechten Weltsituation und in ihrer Ohnmacht als Einzelne etwas dagegen tun zu können, halten sie das Leben insgesamt für sinnlos.

Manche haben ohne direkten äußeren Anlass das Gefühl, den Sinn ihres Lebens nicht zu finden und in ihrer Sinnsuche irgendwie steckengeblieben zu sein. Sie wissen nicht, warum sie überhaupt leben, welcher Sinn ihr Leben habe, obwohl ihnen äußerlich nichts fehlt und kein Mangel an Materiellem vorhanden ist. Sie empfinden ihr Leben unendlich schwer, anstrengend und kein Ziel scheint wirklich so lohnenswert, um sich dafür einzusetzen.

Es ist, als würde jenen das „Paßwort“ (Romano Guardini) fehlen, welches die Tür der ur-eigenen Bestimmung öffnet. Der Sinn bleibt hinter einer verschlossenen Tür und zeigt sich nicht, bleibt verborgen.

Unruhig ist unser Herz, bis ...? Bis was?

Bis wir aufbrechen, bis wir Sicherheiten hinter uns lassen und uns aus dem Gewohnten , auch dem gewohnten Jammern, den Zweifeln und Zögerlichkeiten ..., hinauswagen, auf Bequemlichkeiten verzichten und Illusionen von Sicherheit zurücklassen. Ein träges, bequemes oder selbstgefälliges Herz findet immer wieder nur sich selbst. „Eure Wege sind nicht meine Wege!“, sagt der Prophet Jesaja (55,8) zum um sich kreisenden und in sich gefangenen Menschen.

Aber, immer wieder brechen Menschen auf, machen weite Reisen, sind fragend, suchend, sehnend unterwegs, lassen sich überraschen auf einem noch unbegangenen Weg, verlassen Vorbahnungen, wollen sich nicht länger mit bereits Gefundenem und Gewusstem abfinden. Manche wollen auch nicht an ihren maßlosen und um sich selbst kreisenden Wünschen ersticken.

Manche werden auch hinausgeworfen auf eine dunkle und kalte Straße, ihr Leben wird durch Krankheit, Unfall, Verlust oder Alter aus den Angeln gehoben. Einige sind wie Flüchtende unterwegs, und wollen doch nichts anderes als endlich „nach Hause“ kommen.

In dem weltbekannten, auf Realität fußenden Roman von J.M. Bauer „So weit die Füße tragen“ flüchtet der Soldat Clemens Forell aus einem sibirischen Kriegsgefangenenlager. Er legt unter ungeheuren Strapazen 14208 Kilometer vom Eismeer bis in den Iran zurück - auf Waggons, mit dem Boot, doch meist zu Fuß, um Weihnachten 1952 endlich bei seiner Familie in Deutschland anzukommen. Beeindruckend in der Verfilmung unter der Regie von Hardy Martins ist wie Forell bei der Ankunft von außen durch`s Fenster seines Zuhauses schaut. Sein Blick scheint stellvertretend für uns alle zu fragen: „Ist das mein Zuhause?“ „Bin ich jetzt angekommen?“ „Habe ich das Ziel meiner Reise erreicht?“

Die Sprachwurzeln von Sinn bedeuten ja „reisen“ (vom indogermanischen `sentno`, was soviel bedeutet, wie eine Richtung nehmen, gehen, empfinden und wahrnehmen), auf etwas sinnen und den Sinn von etwas erfragen. Anscheinend ist das, was einer zutiefst „ist“ und was das „unruhige Herz“ (Augustinus) sucht, erst durch die „Reise des Lebens“- auch über die Um- und Irrwege des Herzens-, einzuholen.

„Werden wir nicht nachlassen in unserem Kundschaften/Und das Ende unseres Kundschaftens/Wird es sein, am Ausgangspunkt anzukommen/Und den Ort zum erstenmal zu erkennen.“ (T.S.Eliot, Four Quartets) Der Ausgangspunkt der Reise ist der Zielpunkt, der aber nicht erkannt werden kann ohne Reise. Damit das unruhige Herz sich selbst in Gott ruhend findet, bedarf es der Reise, die lange, beschwerlich und schmerzhaft sein kann. „Es ist der fernste Weg, der am nächsten führt zu dir selbst“ (R. Tagore, aus dem Gedichtband Gitanjali, deutsch „Hohe Lieder“, Leipzig 1914).

Der Blick des Soldaten Clemens Forell von draußen -es ist eine kalte Winternacht- durch das Fenster in die weihnachtlich hergerichtete Stube, hat etwas von dieser ursprünglichen Erkenntnis eines bereits Gekannten. In dem Moment als der Kriegsheimkehrer Clemens Forell in dieser kalten Winternacht zum Fenster hineinschaut und sein Zuhause „erkennt“, leuchtet für ihn Sinn des langen Heimweges auf. Sinn leuchtet auf wie die Strahlen der Sonne, manchmal auch in den Wunden, im Schmerz und der Dunkelheit des Lebens. Sinn kann ich mir letztlich nur schenken lassen, immer wieder neu. Sinn ist „gott-gegeben“, nicht unabhängig von meiner Lebensgeschichte, nicht unabhängig von meiner Individualität, sondern zutiefst damit verwoben. Sinn ist dort, wo ich mit der tieferen Wirklichkeit meiner selbst übereinstimme. Sinn eint das menschliche Herz, „Sinn ist das, worin unser Herz zur Ruhe kommt.“ (vgl. Augustinus)

Impulse

  • Bennen Sie (in ihrem Tagebuch z.B.) wichtige Stationen ihrer Lebensreise!
  • Welche Wegstrecken haben Sie als sinnlos erlebt?
  • An welchen Stellen ist Ihnen der Sinn ihres Lebens besonders hell aufgeleuchtet?
  • Schauen Sie sich den Film „So weit die Füße tragen“ an oder lesen Sie den Roman von J.M Bauer
  • Gehen Sie selbst eine Wegstrecke auf dem Jakobsweg mit der Frage „ Wohin zieht mich mein Herz?“

(Text von Gustav Schädlich-Buter)