Vater

„Vater und Sohn, verbunden als Eins. Rücken an Rücken, bis die Wärme hindurch dringt. Ich erinnere mich an die Meereswellen, wo ich zuerst meinen Mut fand. Wohlwissend, dass mein Vater mich retten würde, war ich fähig der Flut standzuhalten“

singt Peter Gabriel in seinem Lied „Father, Son“, das er seinem alten Vater widmet. Ähnliches wie Gabriel können die wenigsten Söhne heute von ihrer Vaterbeziehung sagen. Eher schon gilt der Satz von Francis Thompson: „Ich und mein Vater sind nicht eins“ quasi als Antithese zur Jesus- Aussage: „Ich und der Vater sind eins“ , Joh 10,30)

Eine Gesellschaft, die immer vaterloser wird, in der nur ein geringer Prozentsatz der Kindergärtner und Grundschullehrer männlich sind, verliert die Hälfte ihrer Kraft und ihrer Orientierung. Schon 1963 legte Alexander Mitscherlich seine Studie über die vaterlose Gesellschaft vor. Ein großer Prozentsatz der Väter war für die Kinder nicht da; viele Väter sind im Krieg gefallen oder als vom Krieg „Zerbrochene“ heimgekehrt. An diesem Mangel und Verlust väterlicher Autorität haben besonders die Söhne, die ohne väterliches Vorbild aufwachsen mussten, gelitten. Aggressivität, Destruktivität und Angst waren die Folgen in der Seele der Kinder.

Das, was vielen Kindern – besonders Söhnen, aber auch Töchtern - auch heute noch zu ihrem Vater einfällt, lässt sich mit folgenden Begriffen ausdrücken: Abwesenheit, Trauer, Leere. Befragte sagen: „Ich kenne ihn nicht!“, „Mein Vater ist/war mit der Firma verheiratet und nie da“, „er war schwach, ein Alkoholiker“, „Er hat sich für mich nicht interessiert“. Viele Söhne und Töchter wissen nicht, wer ihr Vater wirklich ist und was ihn in der Tiefe seiner Seele bewegt oder bewegt hat.

Richard Rohr nennt der das tiefschürfende und unbewusste Verlangen nach Bestätigung, Anerkennung, aber auch Grenzsetzung durch männliche Autoritätsfiguren "Vaterhunger". In vielen Kursen und Gesprächen hat er die Erfahrung gemacht, dass solange Männer nicht erkennen, dass sie Liebe und Bestätigung vom abwesenden Vater brauchen, sie in einem schlechten Sinn hektisch, geschäftig und wild werden nach Macht, Sex und Geld. Viele „Getriebene“ in den großen Firmen, aber auch in der Kirche leiden in der Tiefe ihrer Seele an diesem „Vaterhunger“, wollen vom Chef oder Bischof bestätigt und anerkannt werden. Bei anderen aber führt die Vaterwunde auch zu einer nicht enden-wollenden Rebellion gegenüber jeglichen Autorität. Diese Vaterwunde sei auf der ganzen Welt zu finden und findet keine Ruhe bis der Vater dem Sohn, der Tochter, den „Vatersegen“ schenkt. (vgl. R. Rohr, Vom wilden Mann zum weisen Mann, München 2006)

Der Vater hat die Aufgabe den Rücken des Kindes zu stärken, zu ermutigen, einen Schubs zu geben, mit väterlicher Energie auszustatten, dass die Tochter, der Sohn sein Leben wagt, auch mal ein Wagnis eingeht, eine Bruchlandung riskiert. Aber auch: Chaos bändigen, durch sein Da-sein Ordnung stiften, Ruhe und Sicherheit ausstrahlen, gehört zur Aufgabe des Vaters.

Wem solche Vatererfahrung fehlt, der sucht „Rückgratersatz“ (T. Bovet). Dieser besteht in unbeweglichen (politischen, religiösen, fundamentalistischen, ...) Ideologien, in übertriebenen konservativen Einstellungen, in starren Normen und Prinzipien, an die sich der "Vaterbedürftige" klammert und festhält. Die dadurch gewonnene äußerliche Sicherheit und Stärke verbirgt dann aber nur das innere Chaos, die eigene Brüchigkeit und die Angst vor dem Unkontrollierbaren.

Viele Väter haben es einfach nicht geschafft, mit ihren Kindern darüber zu reden, was sie in der Tiefe bewegt, wofür sie gekämpft haben und kämpfen, welche Visionen und Lebensträume sie bewegt haben, wen und was sie geliebt haben. Nicht selten haben sie selbst von ihrem Vater den „Vatersegen“ vorenthalten bekommen.

Wie wichtig, wie erneuernd, wie mutmachend für die jüngere Generation wären solche Vater-Sohn- und Vater-Tochter-Gespräche, in denen die Älteren den Jüngeren ihre Erfahrungen erzählen; Gespräche, wo Väter über ihre Trauer, ihre Verluste, ihre Ohnmacht, aber auch ihre Hoffnung, ihre Kraft, ihre Liebe reden ... .in denen sie lebensnah vermitteln, was Mensch-sein und Mann-sein heißt! Wie wichtig auch dafür, dass eine infantile und orientierungslose Gesellschaft langsam erwachsen wird und sich darauf besinnt, wofür wir auf der Welt sind. Dafür könnten alle Väter einen wichtigen Beitrag leisten.

Impulse

  • Wie habe ich meinen Vater erlebt? Was hat er mir gegeben? Was hat er mir vorenthalten?
  • Was würde ich ergänzen auf den Satz: „Wenn dir der Vater fehlt, ....:“
  • Was möchte ich als Vater (falls ich ein solcher bin) an meine Kinder (Söhne und Töchter) weitergeben? Was hindert mich daran? Was hilft mir?

Literatur

  • Richard Rohr, Masken des Maskulinen, S.33-39, München 1993

(Text von Gustav Schädlich-Buter)